Arbeit&Wirtschaft 1/201510 Interview
eine gewisse Öffnung des Landes vor sich
geht. Dass junge Leute in anderen EU-
Ländern völlig problemlos studieren kön-
nen oder man am Arbeitsmarkt ein paar
Jahre Erfahrungen in einem anderen Land
in der Europäischen Union sammeln kann.
Das ist im Großen und Ganzen gelungen.
Es gibt heute eine Generation der 20- bis
30-Jährigen, die diese Europäische Union
ganz anders erlebt. Zugegebenermaßen hat
das schon etwas mit einer gewissen Bil-
dungsschicht zu tun. Ich glaube, ein Lehr-
ling erlebt das weniger, außer im Urlaub.
Aber es kann sich ja heute kein 25-Jähriger
mehr vorstellen, was es bedeutet hat, nach
Italien auf Urlaub zu fahren. Da ist man
ja stundenlang an den Grenzen gestanden.
Auch an der Grenze zu Deutschland, am
Walserberg ist man zur Hauptreisezeit
fünf, sechs Stunden gestanden.
Das war für mich der Hauptpunkt,
denn dieses Land hat ja immer ein biss-
chen die Tendenz, sich abzuschotten.
Meine Hoffnung war auch, dass es wirt-
schaftlich eine Öffnung geben würde.
Und die österreichische Industrie hat ja
die Chance, die die Ostöffnung geboten
hat, beeindruckend wahrgenommen.
Wo sehen Sie Versäumnisse?
Es ist nicht gelungen, dass man von der
Europäischen Union als „wir“ spricht.
Man hat es nicht geschafft, zu kommuni-
zieren, dass wir Teil der Europäischen Uni-
on sind und die Europäische Union ein
Teil neuer österreichischer Innenpolitik.
Wir sitzen ja immer am Tisch, egal, welche
Entscheidung getroffen wird.
Vor der Volksabstimmung gab es die-
se enorme Informationsaktivität, danach
war es anders. Wenn uns eine Regelung
oder Entscheidung gepasst hat, wurde
danach kommuniziert: „Wir haben uns
durchgesetzt.“ Damit dokumentiert man
ja auch ein Feindbild, weil wenn man
sich wo durchsetzt, dann sitzt einem ge-
genüber ja kein Freund, sondern ein
Gegner. Das heißt, man hat eine Grund-
stimmung aufgebaut, dass die EU eigent-
lich ein Gegner ist.
Wenn uns etwas nicht gepasst hat,
dann haben wir gesagt: Das hat die Euro-
päische Union beschlossen, damit haben
wir nichts zu tun. Wenn Sie sich nur vor-
stellen, wie heftig das Rauchverbot in Ös-
terreich diskutiert wird. Da gibt es ja
auch Pro und Kontra. Kein Mensch
würde zum Beispiel sagen „die Oberös-
terreicher sind schuld“, sondern es ist ein
innerösterreichischer Diskurs, wo es un-
terschiedliche Meinungen gibt und un-
terschiedliche Interessen. Jeder weiß das.
Diese Erklärung, die bei einer nationalen
Diskussion selbstverständlich ist, findet
in Europa viel zu wenig statt. Da müsste
man mehr erklären.
Zugleich ist es natürlich eine Mammut-
aufgabe, 28 verschiedene Länder an ei-
nen Tisch zu bringen. Muss man sich
vielleicht mehr in Geduld üben?
Ich glaube, in den letzten 20 Jahren ist Eu-
ropa schon mehr zusammengewachsen.
Henry Kissinger hat ja einmal gesagt, er
wisse gar nicht, wo er in Europa anrufen
soll, weil er keine Telefonnummer hat. Die
Telefonnummer gibt es mit Federica Mo-
gherini (EU-Außenbeauftragte, Anm.)
mittlerweile, die ist sehr aktiv und macht
das gut.
Ich habe schon den Eindruck, dass es
ein starkes Zusammenwachsen der Euro-
päischen Union gibt, aber natürlich noch
loser als die Vereinigten Staaten. Europa
ist noch immer eine Ansammlung von 28
Ländern.
Vor zehn Jahren haben Sie in einem In-
terview gesagt: Die Leute müssen das
Gefühl bekommen, dass diese EU für uns
da ist. Ist das gelungen?
Vor zehn Jahren war es nicht besser oder
schlechter. Schon damals hatte kein
Mensch das Gefühl: Die Europäische Uni-
on, das sind wir. Man müsste sehr intensiv
wie damals vor der Volksabstimmung in-
formieren. Aber die Situation ist eine an-
dere. Wie würden sich die Sozialpartner
bei solch einer Informationskampagne po-
sitionieren? Notwendig wäre zu zeigen:
Das sind wir und das wollen wir in der
Europäischen Union und das ist unser An-
liegen und wir müssen da zusammenwach-
sen. Ich glaub, das war vor zehn Jahren
genauso wie jetzt.
Vor 20 Jahren gab es das gemeinsame Ziel
Beitritt?
Gemeinsam statt einsam: Das war ja unser
erfolgreichster Slogan, so banal er auch
klingt. Das Gemeinsame ist aber jetzt zu
wenig vorhanden.
Gegner der EU-Erweiterung meinen,
dass diese die Europäische Union daran
hindere, zu einem Gebilde zusammen-
zuwachsen. Wie sehen Sie das?
Bei der Erweiterung steht ja nicht mehr
viel an, die restlichen Balkanländer noch.
Die Türkei wird in absehbarer Zeit nicht
beitreten, weil auch die politische Ent-
wicklung dort nicht so ist, dass man sagen
kann, dass das eine Annäherung an die
Europäische Union fördert. Es ist wichtig,
dass man mit der Türkei ein gutes Ein-
vernehmen hat, dass man wirtschaftliche
und politische Kontakte hat. Die Türkei
könnte meiner Meinung nach aber we-
sentlich mehr machen im Konflikt mit
Syrien und mit dem Problem „Islamischer
Staat“. Aber das ist im Moment sicher
schwierig, sodass eine Integration nicht
so schnell vor sich geht.
Es muss jetzt einmal die Integra-
tionsschritte geben, die noch anstehen.
Kommissionspräsident Jean-Claude
Juncker hat ja jetzt bei der Auswahl der
Kommissare einen wichtigen Schritt ge-
macht. Es geht einfach nicht, dass 28
oder 29 oder 30 Länder jeweils einen
Kommissar oder eine Kommissarin schi-
cken. So wie möglicherweise nicht jedes
österreichische Bundesland einen Minis-
ter hat, muss man einfach akzeptieren,
dass es auch in der EU schrittweise eine
Änderung gibt. Was nicht heißt, dass
man nicht ein Gesicht für jedes Land
braucht, der oder die in der Europäi-
schen Union Themen für ein Land be-
handelt und den oder die man anspre-
chen kann. Man muss aufpassen, dass
die Identität nicht verloren geht. Aber
ich bin eigentlich optimistisch.
Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Das Interview führte Sonja Fercher für
Arbeit&Wirtschaft.
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