Arbeit&Wirtschaft 8/2015 13Schwerpunkt
Anders gesagt: Es wird immer mehr
Dienst in den Schnaps geschüttet. Oder
vielleicht sollte man besser sagen: Der
Dienst wird immer mehr mit Schnaps
angereichert? Immerhin reicht es nicht
mehr, dass man sich den Beruf, der ur-
sprünglich die Finanzierung des Überle-
bens garantieren sollte, freier wählen
kann als zuvor. Nein, der Job soll gera-
dezu berauschend sein und am besten
auch noch die Freizeit.
Zwischen Anspruch und Realität
Im Schwärmen über „gute Arbeit“ ist der
Abgrund schnell vergessen, der zwischen
Anspruch und Realität klafft. Dabei hat
dieser Abgrund einen einfachen Namen:
Ungleichheit. Eine dieser Ungleichheiten
besteht zwischen den Geschlechtern.
Über die Gestaltung ihres Alltags selbst
entscheiden zu können, das wünschen
sich viele Menschen. Doch wer kann das
schon außer Selbstständigen und Füh-
rungspersonen? Die Hausfrau, nur hat
sie einen entscheidenden Nachteil: Ihre
Arbeit wird nicht bezahlt, weshalb ihre
soziale Absicherung vom berufstätigen
Mann abhängt. Den weiteren Nachteil
beschreibt die deutsche Kulturwissen-
schafterin Susanne Breuss in ihrem Bei-
trag im Buch „Bewegte Zeiten: Arbeit
und Freizeit nach der Moderne“ aus dem
Jahr 2002: „Die Hausfrau ist im Grunde
ständig beschäftigt (oder zumindest im
Bereitschaftsdienst) und muss doch im-
mer Zeit haben.“ In Wahrheit entspricht
sie dem Ideal der heutigen Arbeitneh-
merInnen, denn nicht nur ist sie allezeit
bereit, noch dazu kennt sie keine Tren-
nung zwischen Arbeit und Freizeit.
An berufstätige Frauen werden meist
ähnliche Ansprüche gestellt, zumindest
in der Freizeit, sodass der Begriff
Doppelbelastung geradezu untertrieben
scheint. Nun ist viel die Rede von den
neuen Vätern, und in der Tat ist es
höchste Zeit für eine gerechtere Vertei-
lung von Hausarbeit zwischen den Ge-
schlechtern. Hartnäckig aber hält sich
die geschlechtsspezifische Ungleichheit
zwischen bezahlter und unbezahlter Ar-
beit, und zwar trotz der mehr als hun-
dertjährigen Emanzipationsgeschichte:
Während Männer durchschnittlich 16
Stunden mit unbezahlter Arbeit ver-
bringen, sind es bei Frauen ganze elf
Stunden mehr.
Betrachtet man den Nachholbedarf
Österreichs in Sachen Kinderbetreuung,
nimmt es wenig Wunder, dass die Teil-
zeitbeschäftigung von Frauen in Öster-
reich auf so hohem Niveau ist und sie
noch dazu durchschnittlich weniger
Stunden arbeiten als viele europäische
Geschlechtsgenossinnen.
Langsamkeit als Ressource
Langsamkeit kann eine enorme Ressour-
ce sein. Angeblich engagierte Bill Gates
für die schwierigsten Aufgaben am liebs-
ten die faulsten Leute. Der Grund: Sie
suchen nach dem einfachsten und/oder
schnellsten Weg, um ein Ziel zu erreichen
– ohne dabei den eigenen Anspruch nach
Perfektion aufzugeben. Genau das sei die
Wunschvorstellung der jungen Genera-
tion, behaupten manche. Vorsicht ist na-
türlich angebracht, immerhin arbeiten
nicht alle ArbeitnehmerInnen in solch
gut bezahlten Jobs, für die der Microsoft-
Magnat „faule“ MitarbeiterInnen suchte.
Zweifellos aber ist Kreativität und Nach-
denklichkeit hilfreich, um Arbeitsprozes-
se besser zu gestalten und somit auch un-
nötigen Stress zu vermeiden, und zwar
egal in welchem Bereich.
Aber zurück zur Schnecke: Was ha-
ben diese eigentlich davon, dass sie so
langsam sind? „Der Vorteil ist, dass sie
alles erreichen können, ohne sich stres-
sen zu müssen“, antwortet Mollusken-
Forscherin Anita Eschner. Einen Nach-
teil könne die Schnecke dadurch jeden-
falls nicht haben. „Im Gegenteil, es muss
ein großes Erfolgsprinzip sein.“ Immer-
hin gibt es Schnecken schon seit mehr
als 500 Millionen Jahren auf der Erde,
sie waren sogar schon vor den Dinosau-
riern da. „Das können nicht viele Tierar-
ten von sich sagen“, meint Eschner. An
Tempo legen Schnecken jedenfalls nur
dann zu, wenn sie müssen. Etwa wenn
sie Futter jagen oder zur Fortpflanzung.
Eschners Fazit: „Wenn alles passt, be-
steht auch kein Grund zur Eile. Warum
sollte sie also diese Energien verschwen-
den?“ Eine gute Frage eigentlich.
Internet:
Brand Eins „Mehr Faulheit wagen“:
tinyurl.com/qzfmn8p
Heinrich Böll „Anekdote zur Senkung
der Arbeitsmoral“:
tinyurl.com/ofmfeg8
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Blaumachen würden wir wohl alle hin und
wieder gern. Meistens reicht auch ein weniger
stressiger Alltag, damit MitarbeiterInnen ihre
Erfahrungen einbringen können.