Arbeit&Wirtschaft 8/201516 Schwerpunkt
S
ag alles ab! Plädoyers für den le-
benslangen Generalstreik“ lautet
der Titel eines brandneuen Sam-
melbandes, der die Leistungsge-
sellschaft aufs Korn nimmt. Pikanterwei-
se im Karriereteil des renommierten Wo-
chenblatts „Die Zeit“ präsentierte der
Philosoph und Co-Autor des Werks Pa-
trick Spät seine Ideen auch einer breiteren
LeserInnenschaft. Das Credo des Aufsat-
zes: totale Entschleunigung, am besten
nach dem Muster der Koalabären.
Der Koalabär als Vorbild
„Er isst ein paar Eukalyptusblätter und
döst dann einfach; schläft der Koala we-
niger als 18 Stunden am Tag, stirbt er an
Erschöpfung. Nicht so der Mensch, der
es vorzieht, 18 Stunden am Tag zu malo-
chen“, kritisiert Spät in seinem Beitrag
die Fixierung der Gesellschaft auf Arbeit.
Auch wenn der Autor den hier mit-
schwingenden Biologismus sowie das
komplexe soziale System der Koalas nicht
weiter diskutiert, meint er das Beispiel
im Kern durchaus ernst: zurück zur Na-
tur, zurück zum Ursprung. „Zieleinkom-
men“: So lautet das wirtschaftliche Leit-
modell dieser anderen Gesellschaft. Pro-
duziert wird nur, was unmittelbar ge- und
verbraucht werden kann. Ein Fischer, der
sich täglich mit einem kleinen Fang be-
gnügt, um dann im Hier und Jetzt (und
nicht erst in der Pension) das zu tun, was
er am liebsten tut, zum Beispiel in der
Sonne zu dösen, orientiert sich an diesem
Modell. Ähnliches gelte für bestimmte,
noch „ursprünglich“ lebende Gesellschaf-
ten wie beispielsweise den afrikanischen
Stamm der !Kung (!Xun).
Dass Menschen derartige soziale
Strukturen „entdecken“, ist in der
Menschheitsentwicklung allerdings nicht
neu. Schon in der Formierungsphase der
modernen ArbeiterInnenorganisationen
und Gewerkschaften war dies fester
Bestand teil der Ideenwelt. „Urkommu-
nistische“ Zustände wurden hier aber
auch – beispielsweise von Friedrich En-
gels – wenig romantisierend als Periode
der „Wildheit“ beschrieben. Solche frü-
hen Gesellschaften bedeuteten oft Man-
gel, weil die Menschen völlig abhängig
von Wind und Wetter waren. Der US-
Forscher Jared Diamond hat vor einigen
Jahren in seinem Werk „Arm und Reich“
sehr überzeugend dargestellt, wie diese
klimatischen Faktoren die Entwicklung
sowie vor allem die soziale Differenzie-
rung der Menschheit vorantrieben. Da-
mit widerlegte Diamond im Übrigen
auch die These einer (angeblich) „natürli-
chen sozialen Ungleichheit“ von Men-
schen und Gesellschaften. Er verstand
sein Werk auch als Beitrag im Kampf
gegen den Rassismus.
Paul Lafargue: So lautet der Name
eines kritischen Denkers des 19. Jahr-
hunderts, auf den in Debatten um Ar-
beitsethos, Leistungsgesellschaft, aber
auch Grundeinkommen von vielen Sei-
ten gerne Bezug genommen wird –
nicht immer zu Recht. Der Schwieger-
sohn von Karl Marx war ein bedeuten-
der Aktivist der internationalen Arbei-
terInnen- und Gewerkschaftsbewegung.
Sein bekanntestes Werk trägt einen bis
heute provozierenden Titel, nämlich
„Das Recht auf Faulheit“ – es erschien
im Jahre 1880.
„Eine seltsame Sucht“, heißt es in
den Einleitungsworten dieses Pamph-
lets, „beherrscht die Arbeiterklasse aller
Länder, in denen die kapitalistische Zi-
vilisation herrscht, eine Sucht, die das in
der modernen Gesellschaft herrschende
Einzel- und Massenelend zur Folge hat.
Es ist dies die Liebe zur Arbeit, die ra-
sende, bis zur Erschöpfung der Indivi-
duen und ihrer Nachkommenschaft ge-
hende Arbeitssucht.“
Lafargue beschreibt zunächst die Ent-
wicklung des Arbeitsbegriffs im Kapitalis-
mus, die Auffassung von Arbeit als Erzie-
hungs- und Disziplinierungsmittel, zu-
mindest für den Großteil der Bevölke-
rung. Durchgesetzt wurde und werde dies
mit Zwang, nämlich durch Arbeitshäuser,
oder wesentlich effizienter durch Hunger
– aber nicht nur. Wie schon in den Einlei-
tungssätzen angedeutet, kritisiert Lafargue
vor allem die Übernahme einer mächtigen
bürgerlichen Ideologie der „Arbeitssucht“
durch die ArbeiterInnenparteien und Ge-
werkschaften selbst sowie die Vorstellung,
dass wirtschaftliches Wachstum automa-
Recht auf Faulheit?
Während Gewerkschaften gerade in der Krise für das Grundrecht auf Arbeit
kämpfen, häuft sich auch die Kritik am „Arbeitsfetisch“.
John Evers
Erwachsenenbildner und Historiker B U C H T I P P
Haus Bartleby (Hrsg.):
Sag alles ab!
Plädoyers für den lebens-
langen Generalstreik
Nautilus, 160 Seiten,
2015, € 15,40
ISBN: 978-3-89401-824-5
Bestellung:
www.arbeit-recht-soziales.at