Arbeit&Wirtschaft 9/2015 31Schwerpunkt
anderen. Mit den Vorbereitungsmateria-
lien des Bifie konnten sich SchülerInnen
gut wappnen, allerdings mussten sie nicht
unbedingt verstehen, was sie tun, weil es
teilweise reichte, sich an das Übungsbei-
spiel zu erinnern und das richtige Ergeb-
nis anzukreuzen. Dass es mit der Ver-
gleichbarkeit nicht weit her ist, zeigte sich
daran, dass an manchen Schulen Ta-
schenrechner verwendet werden durften,
die Grafiken wie den Verlauf einer Kurve
anzeigen, an anderen aber nicht. Aber
immerhin schafften bereits 90 Prozent
der SchülerInnen bei der schriftlichen
Mathe-Matura eine positive Note.
Vergeudete Chancen
Die Arbeiterkammer zählt zu den Befür-
worterInnen der Zentralmatura. Der ers-
te Durchgang verlief aus ihrer Sicht mit
Ausnahme von wenigen Punkten rei-
bungslos. Laut Martina Laux, Expertin
in der Abteilung Bildungspolitik der AK
Wien, ist die Zentralmatura „ein guter
Schritt, der das österreichische Schulsys-
tem voranbringt“. Es sei fair und gerecht,
dass alle SchülerInnen die gleiche Schwie-
rigkeit vorfinden. Positiv sei auch, dass
sich die Rolle der LehrerInnen im Unter-
richt ändere: Waren sie früher „im
schlechtesten Fall strafende, prüfende
GegnerInnen“ der SchülerInnen, würden
sie durch die Zentralmatura zu „Partne-
rInnen, die wie TrainerInnen im Sport
die SchülerInnen bei ihrer Zielerreichung
unterstützen“, meint Laux. SchülerInnen
würden zur Zielerreichung „mal mehr,
mal weniger“ Förderung benötigen. Da-
her fordert die AK die indizierte Mittel-
verteilung, also dass „bei der Ressoucen-
verteilung zwischen den Schulen berück-
sichtigt wird, welche Voraussetzungen die
SchülerInnen mitbringen“, sagt Laux.
Viel zu tun sei noch bei der Nachberei-
tung der Prüfungsergebnisse: „Profi-Ski-
fahrerInnen analysieren ihre Trainings-
läufe, um besser zu werden – in der Schu-
le passiert das aktuell nicht.“
Derzeit gebe es keine offizielle Stra-
tegie, was passieren soll, wenn die Prü-
fungsergebnisse an einem Schulstandort
unterdurchschnittlich sind. Wie diese
Schule unterstützt werden soll, ist für
Laux eine sehr wichtige Frage: „Das Mi-
nisterium vergeudet eine große Chance,
wenn die Ergebnisse quasi in den Akten-
schrank gepackt und versperrt werden.“
Bildung als Armutsvermeidung
Rainer Bölling, Bildungsforscher und
Autor des Buchs „Kleine Geschichte des
Abiturs“, wirft einen kritischen Blick auf
den Trend, Reifeprüfungen zu zentrali-
sieren: „Die Erfahrungen mit dem Zent-
ralabitur deuten darauf hin, dass ein mitt-
leres Level angesteuert wird und starke
Schüler nicht so sehr gefordert werden.“
In den vergangenen zehn Jahren, seit
das Zentralabitur in Deutschland breit
angewendet wird, sei das Prüfungsni-
veau „sehr offensichtlich“ gesunken –
und die Noten seien viel besser gewor-
den. Aber ist eine steigende Anzahl an
jungen Menschen mit Matura etwas
Schlechtes? Schließlich erhöht hohe Bil-
dung die Chancen auf beruflichen Er-
folg und verringert die Armutsgefahr.
Die EU strebt sogar bis 2020 an, dass
mindestens 40 Prozent der Jugendlichen
einen Hochschulabschluss haben. „Die
europäische Bildungspolitik ist auf dem
falschen Weg“, warnt Bölling. In Frank-
reich etwa produziere man viele Matu-
rantInnen, aber: „Ein großer Teil geht in
die Jugendarbeitslosigkeit.“ Schwierig
sei auch die Situation in den USA, wo
viele das Studium abbrechen. Bewährt
hätten sich dagegen Schulsysteme mit
Berufsbildung wie in Österreich. Außer-
dem: „Wenn die Abiturientenquoten
erhöht werden, gibt es mehr Konkur-
renz an den Universitäten.“ Keinesfalls
für sinnvoll hält Bölling es, die Erlaub-
nis zu studieren allein von der Perfor-
mance der SchülerInnen während weni-
ger Tage im Frühling abhängig zu ma-
chen. Die Bildungsministerin zeigte sich
mit dem ersten Durchgang „sehr zufrie-
den“. Große Änderungen für das kom-
mende Jahr seien nicht notwendig.
Dann gilt die Zentralmatura flächende-
ckend für die berufsbildenden Schulen.
Dann heißt es für 43.000 SchülerInnen,
den Reifetest zu bestehen.
Internet:
Übersicht über die Zentralmatura:
www.bifie.at/srdp
AK: Förderung von Schulen in sozial
benachteiligten Bezirken:
tinyurl.com/powju9e
Gastbeitrag in der FAZ von Rainer Bölling:
tinyurl.com/lac6sur
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Der erste Durchgang der Zentralmatura war
für die SchülerInnen mit viel Stress verbunden.