Arbeit&Wirtschaft 2/2016 15Schwerpunkt
len die Chancen des Arbeitssuchenden am
Arbeitsmarkt verbessern. Niemand kann
zu einer Schulung gezwungen werden, al-
lerdings reicht die persönliche Einschät-
zung zur Ablehnung einer Maßnahme
nicht aus. Vielmehr geht es um einen ob-
jektiven Maßstab. Zumutbarkeit betrifft
auch Maßnahmen zur Wiedereingliede-
rung in den Arbeitsmarkt wie die Beschäf-
tigung in einem sozialökonomischen Be-
trieb oder bei einem gemeinnützigen Ar-
beitskräfteüberlasser.
Bei gänzlicher Arbeitsunwilligkeit
kann das Arbeitslosengeld gestrichen
werden. Das kam 2015 in 225 Fällen vor
– eine Steigerung von 14 Prozent. Mit
der wachsenden Zahl von Arbeitssuchen-
den steigt die Zahl der Rückmeldungen
der Unternehmen, die der Ausgangs-
punkt für Sanktionen sind. „Besonders
problematisch ist, dass sofort gesperrt
wird und es keine aufschiebende Wir-
kung gibt“, so AK-Experte Krapf: „Da-
hinter steht die Idee der generalpräventi-
ven Wirkung der Sanktion.“ Für viele
Arbeitslose hat der Entfall des Geldbe-
zugs aber eine existenzbedrohende Wir-
kung. Hier führt sich der „KundInnen-
Begriff“ ad absurdum, der in der Kom-
munikation mit Arbeitslosen üblich ist.
Eine zentrale Forderung von Arbeitslo-
seninitiativen lautet daher, die Sperren
gänzlich aufzuheben oder erst nachträg-
lich durchzuführen, sobald sich ihre
Richtigkeit herausgestellt hat.
Autoritäres Verhältnis
Im Vorjahr waren über 950.000 Men-
schen (mindestens einen Tag) von Arbeits-
losigkeit betroffen. Da nimmt sich die
Zahl der tatsächlich verhängten Sperren
bezüglich Arbeitsverweigerung vergleichs-
weise gering aus: 14.260. Auch von den
über 8.300 Beschwerden beim Ombuds-
mann des AMS betrafen nur 50 das
Thema. Bedrohlich und abschreckend
wirken die Zumutbarkeitsbestimmungen
dennoch. Aus Angst vor Sperren werden
Angebote akzeptiert, auch wenn man sie
für unsinnig hält. Man bewirbt sich für
eine Stelle, ohne ausreichend qualifiziert
zu sein, oder besucht einen Kurs, der be-
reits mehrmals besucht wurde. Dazu sagt
ein Teilnehmer einer unverbindlichen
Informationsveranstaltung: „Das Schluss-
wort war: Wer jetzt gehen will, kann
gehen, aber der muss damit rechnen, dass
ihm das Geld gestrichen wird.“
Oder der Fall des 22-jährigen Matu-
ranten, BMS-Bezieher und damit ohne
Berufs- und Entgeltschutz, der sich am
FH-Technikum beworben hatte und
eine Stelle in der IT-Branche suchte. Der
Berater meinte, in diesem Bereich gäbe es
beim AMS kaum offene Stellen, und bot
ihm eine völlig andere Arbeit bei einem
Arbeitskräfteüberlasser an. Auf die Frage,
ob er sich nun dort bewerben müsse, ant-
wortete der Berater: „Sie haben nicht nur
Grüß-Gott-Termine.“ Dies ist eines von
20 Beratungsgesprächen in Wien, die
Karola Blaha im Zuge einer teilnehmen-
den Beobachtung analysiert hat. Ein Er-
gebnis der Studie: Wer glaubhaft seine/
ihre Interessen vertreten kann, verfügt
„über höhere soziale Intelligenz“ und
„kann aus dem Bargaining (Verhandeln)
mit der staatlichen Bürokratie mehr her-
ausholen“.
Arbeitslosigkeit verunsichert schicht-
unspezifisch. Es gibt ein starkes Macht-
ungleichgewicht. Sperren funktionieren
als implizite Drohung. In Summe liefern
die Eindrücke des Berichts das Bild eines
autoritären Systems.
Nicht um jeden Preis
Der Arbeitslosen- bzw. Transfergeldbezug
macht es möglich, Arbeit nicht zu allen
Bedingungen annehmen zu müssen. Das
ist für den Arbeitsmarkt und auch für die
Wirtschaft gut. Wenn Menschen unter
ihrer Qualifikation arbeiten, verlieren sie
Kompetenzen und kommen in psychisch
belastende, krank machende Situationen.
„Ist es nicht sinnvoller“, fragt Jörg Flecker,
„die mehrfach verschärften Zumutbar-
keitsbestimmungen zu lockern, wo längst
klar ist, dass das Problem der Arbeitslosig-
keit nicht an der mangelnden Arbeitswil-
ligkeit liegt?“
Internet:
Plattform zum Thema Erwerbsarbeit
und Erwerbsarbeitslosigkeit:
www.arbeitslosennetz.org
AK Wien „Offen gesagt 2013 –
Dialogforum für Wiener Arbeitsuchende“:
tinyurl.com/hqum6qe
Irina Vana. Gebrauchsweisen der
öffentlichen Arbeitsvermittlung. Österreich
1889–1938, Dissertation, 2013:
tinyurl.com/gkuyj4j
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Der Verdacht mangelnder Arbeitswilligkeit ist
so alt wie die Arbeitslosenversicherung selbst.
Auch 1933 warnte der christlich-soziale
Alexander Hryntschak vor der „immer mehr
auf öffentliche Betreuung und öffentliche Unter-
stützung eingestellten Psychologie der Massen“.