Gerechte Verteilung ist zumutbar
O
bergrenzen scheinen in Österreich
im Moment in Mode zu sein. Eine
solche wurde kürzlich nicht nur für
die Aufnahme von Kriegsflüchtlin-
gen beschlossen, auch um die Mindestsi-
cherung hat sich eine Obergrenzen-Debat-
te entsponnen. Wenn es nach dem Willen
der ÖVP geht, sollen BezieherInnen in
Zukunft maximal 1.500 Euro bekommen.
Kürzlich ließ mich die Aussage einer Juris-
tin auf Ö1 aufhorchen. Diese erklärte näm-
lich: Bei den Mindesthilfe-BezieherInnen
handelt es sich um sozial schwache Men-
schen, weshalb an das Menschenwürde-
gebot zu denken sei. Dieses gebietet, dass
niemand unmenschlich oder erniedrigend
behandelt werden darf. Vom Namen sollte
man sich allerdings nicht täuschen lassen,
denn auch wenn es sich Gebot nennt, so
handelt es sich dabei um nichts weniger als
um ein Grundrecht.
Statistin Menschenwürde?
In der politischen Debatte spielt die Men-
schenwürde leider nur eine StatistInnen-
Rolle. Das ist einigermaßen erstaunlich,
handelt es sich doch dabei um einen jener
Werte, die so gerne angerufen werden, um
sich von MigrantInnen abzugrenzen. Am
Beispiel der Debatten über die Zumutbar-
keitsregeln für Arbeitssuchende oder die
Mindestsicherung wird deutlich, dass es
damit nicht weit her ist. Ein Kern dieser
Menschenwürde ist nämlich, dass sie alle
Sonja Fercher
Chefin vom Dienst
Standpunkt
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Menschen haben, und zwar unabhängig
von Herkunft, Geschlecht, Alter, Religion,
Sprache, sozialer Stellung, sexueller Orien-
tierung, Staatsbürgerschaft, politischen
und sonstigen Anschauungen. Diese For-
mulierung stammt im Übrigen aus der
Lernunterlage für jene, die österreichische
StaatsbürgerInnen werden wollen.
Nun mag man einwenden, dass ein
Staat sehr wohl das Recht hat, zu kontrol-
lieren, wer seine Grenzen überschreitet
bzw. wer von welchen sozialen Leistungen
unter welchen Bedingungen profitiert.
Gekauft! Die Debatten über Flüchtlinge
und Sozialleistungen haben eines gemein-
sam: Welche Regelung auch immer man
schafft, sie betrifft Menschen in einer
denkbar schwierigen Situation. Dass es
nicht selbstverständlich ist, dass man bei
dieser Diskussion die Menschenwürde im
Auge hat, macht diese Debatten so schwer
erträglich. Zur Zumutung werden diese,
wenn man bedenkt, dass Vermögende in
Österreich weiterhin nicht ausreichend
besteuert werden – und das, obwohl diese
immer Vermögender werden.
Erst im Jänner veröffentlichte die bri-
tische NGO Oxfam neue Daten, wonach
die 62 reichsten Menschen der Erde ge-
nauso viel besitzen wie die gesamte ärmere
Hälfte der Weltbevölkerung. Und auch in
Österreich ist die Ungleichheit weiterhin
hoch. Angesichts dessen mutet es umso
menschenunwürdiger an, wenn über Leis-
tungskürzungen für jene gesprochen wird,
die ohnehin mit sehr wenig auskommen
müssen, während weiterhin jene außen
vor bleiben, die mehr als genug haben.
Zumutbarkeiten und Zumutungen:
So lautet das Spannungsfeld, mit dem
sich das Team der A&W in diesem Heft
auseinandersetzt. Denn es ist eine Zu-
mutung, wenn suggeriert wird, Arbeits-
lose seien zu faul, um arbeiten zu gehen,
wenn das eigentliche Problem „zu wenig
Arbeitsplätze“ lautet. Es ist eine Zumu-
tung, wenn versucht wird, Flüchtlinge
zum Vorwand zu nehmen, um Sozialab-
bau voranzutreiben.
Gerechtigkeit statt Sozialabbau
Sehr wohl zumutbar ist es, dass eine
Debatte darüber geführt wird, wie neue
Arbeitsplätze geschaffen werden können.
Es ist zumutbar, wenn man sich darüber
Gedanken macht, wie Zumutbarkeits-
regeln bei Arbeitslosigkeit so umgestaltet
werden können, dass die Arbeitssuchenden
gefördert werden. Es ist zumutbar, dass
Sozialleistungen wie die Mindestsicherung
darauf überprüft werden, ob sie den Men-
schen tatsächlich diese mindeste Sicherung
gewähren – die Daten zum Thema Armuts-
gefährdung in Österreich lassen daran
nämlich zweifeln. Vor allem ist die Dis-
kussion über die gerechte Verteilung in
unserer Gesellschaft zumutbar – und zwar
bevor weitere Einschnitte in den Sozialstaat
diskutiert werden.