Arbeit&Wirtschaft 2/20168 Interview
Arbeit&Wirtschaft: Es wird wieder
über die Verschärfung der Zumutbar-
keiten beim Arbeitslosengeld und der
Mindestsicherung diskutiert. Wie ste-
hen Sie dazu?
Alois Stöger: Es gibt immer ein Span
nungsfeld: Was kann ich von der Gesell
schaft an Unterstützung erwarten, und
was ist mein individueller Beitrag, damit
ich den sozialen und kollektiven Schutz
bekomme? Diese Fragen sind immer in
einer Verhältnismäßigkeit zu klären.
Mit dem Arbeitslosengeld unterstüt
zen wir Menschen, damit sie ihre Markt
position am Arbeitsmarkt erhalten kön
nen, und in der Phase, in der sie keinen
Arbeitsvertrag haben, mit Einkommen
versorgt sind. Insofern ist das Ziel ganz
klar: dass sie wieder eine Chance am Ar
beitsmarkt haben. Dieses Prinzip wider
spricht natürlich Arbeitsunwilligkeit. Es
gibt gewisse Verpflichtungen, sich um
einen Arbeitsvertrag zu bemühen. Inso
fern braucht es auch Instrumente, wenn
jemand seine oder ihre Mitwirkungs
pflicht nicht ausübt.
Es wird argumentiert, die Leistung sei
zu hoch, um die Menschen dazu zu mo-
tivieren, arbeiten zu gehen. Wie sehen
Sie das?
Da gibt es immer zwei Zugänge: Das Ar
beitslosengeld ist so hoch oder die ange
botenen Löhne sind zu niedrig. Da bin
ich eher daran orientiert, was die Gewerk
schaftsbewegung bisher immer gemacht
hat: sicherzustellen, dass in allen Bran
chen Mindestlöhne gezahlt werden. Die
se liegen bei 1.500 Euro monatlich, die
GPAdjp fordert jetzt den Betrag von
1.700 Euro. Da gehe ich schon davon
aus, dass der Abstand zum Arbeitslosen
geld ein hoher ist.
Ich glaube, wir sollten sehr aufpas
sen, keine Diskussion zu führen, um die
sozialen Standards nach unten zu revi
dieren. Das führt volkswirtschaftlich zu
keinen positiven Ergebnissen und ver
schlechtert nur die Arbeitsbedingungen
schlechthin.
Man könnte auch sagen: Die eigentliche
Zumutung ist die hohe Arbeitslosigkeit.
Welche Maßnahmen schlagen Sie vor?
Diese Frage ist ganz entscheidend. Hohe
Arbeitslosigkeit heißt in Wirklichkeit,
Ressourcen von Menschen nicht nutzen
zu wollen. Eine Gesellschaft, die ihren
eigenen Mitgliedern sagt, dass ihre wich
tigste Ressource, nämlich die Arbeits
kraft, gar nicht gebraucht wird, hat einen
Konstruktionsfehler. Wenn ich in man
chen Staaten zur Hälfte aller Jugendli
chen sage: „Ich will gar nicht, dass ihr
mitmacht“, dann hat eine Gesellschaft
ein Problem. Wer mit Arbeitslosigkeit
spekuliert, gefährdet letztendlich die
Demokratie. Insofern ist es erstens wich
tig, die Verteilung von Arbeit und Nicht
Arbeit besser zu regeln. Das zweite ist:
Was wir aktuell in Europa haben, ist ja
eine Investitionsbremse, und es ist drin
gend notwendig, diese zu lösen.
Was heißt das konkret?
Das heißt zuzulassen, dass auch der Staat
Investitionen in Infrastruktur treffen
kann. Heißt konkret: Die EU soll den
Ausbau des Breitbandes nicht ein halbes
Jahr verschieben, weil da möglicherweise
eine Marktverzerrung stattfinden könnte.
Investitionen in die Bildung oder in
die Forschung würden sehr viel in der
Europäischen Union auslösen. Die
Kommission (JeanClaude, Anm.) Jun
cker hat mit dem Investitionspaket von
350 Milliarden ein richtiges Signal ge
setzt, aber real noch nicht das Geld auf
getrieben.
Was tut Österreich dafür, dass sich das
in der EU ändert?
In Österreich hat es viele Initiativen ge
geben, um den Ausbau der staatlichen
Infrastruktur voranzutreiben. Ich denke
nur an die großen Infrastrukturpakete.
Im letzten Jahr sind die höchsten Inves
titionen, die es jemals gegeben hat in der
Geschichte, freigemacht worden.
Investitionsbremse lösen
Alois Stöger warnt davor, soziale Standards nach unten zu revidieren. Der
Sozialminister im Interview über Zumutbarkeiten und Zumutungen.
Z U R P E R S O N
Alois Stöger
ist seit Jänner 2016 Minister für
Arbeit, Soziales und Konsumen-
tenschutz. Er absolvierte eine
Lehre als Maschinenschlosser bei
der VÖEST in Linz. 1982 wurde er
Vorsitzender der oberösterreichi-
schen Gewerkschaftsjugend, ab
1986 war er Sekretär der damaligen Gewerkschaft
Metall-Bergbau-Energie. Außerdem war er von 1997
bis 2003 Gemeinderat und von 2003 bis 2008
Stadtrat in Gallneukirchen. 2005 wurde er Obmann
der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse. Im
Jahr 2008 wurde er Gesundheitsminister, im Herbst
2014 wechselte er an die Spitze des Bundesministe-
riums für Verkehr, Innovation und Technologie.