Arbeit&Wirtschaft 2/2016 9Interview
Wir haben immer einen differenzier-
ten Standpunkt eingebracht, ich erinne-
re nur an die Diskussion mit Griechen-
land: Es war Bundeskanzler Werner
Faymann, der versucht hat, zu einer an-
deren Politik in Europa zu kommen.
Die Zeichen für das soziale Europa
stehen schlecht: zu pessimistisch?
Nun ja, es gibt das soziale Protokoll für
Europa, wir haben es geschafft, die
Sozialrechts charta ins Primärrecht hin-
einzunehmen. Da hat es schon einige
Fortschritte gegeben in Europa, die
durchaus Mut machen.
Selbst wenn Gewerkschaften wollten,
könnten sie auf europäischer Ebene in
der Lohnpolitik nicht viel machen.
Mit der Diskussion über die Entsende-
richtlinie und das veränderte Sozialrecht,
durch das wir bei Lohn- und Sozial-
dumping auch grenzüberschreitende
Strafen vergeben können, gibt es schon
positive Elemente. Da dürfen wir auch
nicht lockerlassen. Insofern hat die Eu-
ropäische Union die Chance, einiges zu
bewirken. Wir haben eine global arbeits-
teilige Produktionsform, deshalb braucht
es auch eine grenzüberschreitende Sozi-
alpolitik und eine grenzüberschreitende
Steuerung der Arbeitsbeziehungen. Hier
hat die Europäische Union eine wichtige
Chance, dieses Feld aufzugreifen und zu
steuern. Das halte ich für notwendig und
spannend.
Der Brexit-Kompromiss ist allerdings
ein Schritt in die andere Richtung.
Noch ist nichts beschlossen, sondern man
hat etwas in Aussicht gestellt, wenn das
Vereinigte Königreich eine Volksabstim-
mung macht. So lange kein Ergebnis vor-
liegt, ist es schwierig, das auch endgültig
zu klären.
Ein Drittel der Lehrlinge leistet Über-
stunden, obwohl sie dies gar nicht
dürften. Wie könnte man dem entge-
genwirken?
Erstens dürfen Lehrlinge über 18 Über-
stunden machen. Zweitens ist es wichtig,
dass sie bezahlt werden. Es geht immer
darum, auf Folgendes achtzugeben: Was
kann ich einem Jugendlichen zumuten?
Da gibt es einerseits immer das Problem,
dass man von einem jungen Arbeitneh-
mer oder einer jungen Arbeitnehmerin
Tätigkeiten verlangt, die man schlechter
bezahlt. Andererseits mutet man ihnen
manchmal zu, dass sie ein Ausbildungs-
verhältnis haben, aber zu wenig ausgebil-
det werden. Das ist eigentlich der Wider-
spruch.
In einem guten Ausbildungsverhält-
nis ist das korrekt. Wenn ich aber in
dem Ausbildungsverhältnis keine Aus-
bildung bekomme, nur Hilfsarbeiten
mache und nur eine junge, billigere Ar-
beitskraft abgebe: Das ist zu viel.
31 Prozent machen ausbildungsfremde
Tätigkeiten.
Es ist ganz wichtig, dass die Unterneh-
men erkennen, dass das Recht, Lehrlinge
ausbilden zu können, eine Riesenchance
für sie ist. Sie können die Qualifikatio-
nen, die sie in Zukunft brauchen, selber
entwickeln. Das ist aber auch eine Ver-
pflichtung, nämlich eine Zukunft vor-
wegzunehmen. Dem Lehrling die älteste
Maschine zur Verfügung zu stellen ist der
falsche Weg. Das Zweite ist, wenn man
jemanden ausbildet, muss man sich mit
ihm oder ihr auseinandersetzen, ihnen
eine Chance und auch die Zeit geben,
Grundqualifikationen zu entwickeln.
Eine Klage lautet, dass es nicht genug
Lehrbetriebe gibt. Wie könnte man
mehr Unternehmen motivieren, Lehr-
linge auszubilden?
Ein guter Manager, ein gutes Unterneh-
men hat erkannt, dass die Auszubilden-
den im Betrieb wichtig sind. Wenn Neue
hereinkommen, kann das sehr belebend
sein und in einem Unternehmen auch
eine positive Dynamik auslösen.
Wir sind gerade dabei, das Ausbil-
dungspflichtgesetz zu machen. Wir mer-
ken, dass Jugendliche bereit sind, sich
an der Gesellschaft zu beteiligen, sich
einbringen, Interesse daran haben, etwas
zu machen.
Flucht ist derzeit ein großes Thema.
Wie stehen Sie zur Forderung, Asylwer-
berInnen den Zugang zur Lehre zu er-
leichtern?
Wenn Menschen in Österreich sind,
macht es Sinn, sie in die Gesellschaft zu
integrieren. Lehre ist eine Form der In-
tegration, insofern ist das positiv.
Dem halten manche entgegen: Wenn sie
dann nicht bleiben können, hat man sie
umsonst ausgebildet. Wie sehen Sie das?
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„Wir haben in Europa aktuell eine Investitions-
bremse, diese muss dringend gelöst werden.
Investitionen in Bildung oder Forschung würden
sehr viel in der Europäischen Union auslösen.“