Arbeit&Wirtschaft 1/2016 13Schwerpunkt
des Problems. Allerdings ist Vorsicht ge-
boten, denn in mancher Situation kann
sich die Frage nach dem Warum zu ei-
nem Bumerang entwickeln. Wenn wir
auf die Frage: „Bist du schon Gewerk-
schaftsmitglied?“, die Antwort bekom-
men: „Nein“, neigen wir dazu zurückzu-
fragen: „Warum nicht?“ Das Problem
dabei: Mit dieser Frage rufe ich bei mei-
nem Gegenüber eine Begründungskette
ab, warum es nicht Mitglied ist. Und
mit jedem Argument, das dem Noch-
Nicht-Mitglied einfällt, warum es noch
nicht Mitglied ist, festigt sich sein oder
ihr Standpunkt.
Lösungsorientiert
In Wirklichkeit argumentiert das Noch-
Nicht-Mitglied nicht nur seinen Stand-
punkt, sondern es erklärt auch sein Ver-
halten.
Wenn uns ein Mensch sein Verhalten
erklärt, ist es für uns umso schwieriger,
ihn oder sie darauf hinzuweisen, dass
dieses Verhalten aus unserer Sicht eigent-
lich falsch ist und dass wir es ändern
wollen. Dies wird uns unter solchen Vor-
zeichen aber nur schwer gelingen. Wir
erschweren uns damit also das Werbege-
spräch sogar selbst. Stattdessen brauchen
wir Gründe für die Mitgliedschaft, Vor-
schläge für die Mitgliedschaft.
Das heißt, statt zu fragen: „Was stört
dich am ÖGB?“, wäre es doch viel sinn-
voller, lösungsorientiertere Fragen zu
stellen: „Okay, stelle dir einmal vor, du
wärst ÖGB-PräsidentIn/Vorsitzende(r)
deiner Gewerkschaft/Betriebsratvor sit-
zende(r)/PersonalvertreterIn, was wür-
dest du ändern?“ Auch wenn das Noch-
Nicht-Mitglied hier vielleicht Wider-
stand aufgrund der Fragestellung ver-
sucht, bleiben wir drauf: „Was würdest
du konkret ändern?“
Vorschläge
Und all das, was vorher als Vorwurf kam,
wie zum Beispiel: „Ihr seid viel zu männ-
lich orientiert“, „Ihr seid viel zu angepasst
am sozialpartnerschaftlichen Kuschel-
kurs“, „Ihr seid in eurer Aktivität viel zu
feige“ etc., kommt zwar jetzt auch, aber
nicht mehr als Kritik, nicht mehr als
Grund für eine Nicht-Mitgliedschaft,
sondern es kommt jetzt als Lösungsvor-
schlag.
» Wer vorher behauptet hat: „Ihr seid
viel zu angepasst am sozialpartnerschaft-
lichen Kuschelkurs“, behauptet jetzt: „Ich
wünsche mir kämpferische Gewerkschaf-
ten.“
» Wer vorher behauptet hat: „Ihr seid
viel zu männlich orientiert“, sagt jetzt:
„Ich würde, wenn ich etwas zu reden hät-
te, Maßnahmen ergreifen, damit mehr
Frauen sich aktiv an der Gewerkschafts-
arbeit beteiligen.“
» Wer vorher gesagt hat: „Ihr seid in eu-
rer Aktivität viel zu feige“, sagt jetzt: „Mu-
tiger müssten wir sein!“
Diese Beispiele zeigen, wie aus Kritik
und Gründen für die Nicht-Mitglied-
schaft auf einmal Lösungsvorschläge
werden. Es liegt auf der Hand, dass es
einfacher ist, eine Person zu werben, die
sagt: „Ich wäre ja dabei, wenn …“, als
jemand zu werben, der sagt: „Ich bin
nicht dabei, weil …“
Nachdem wir gehört haben, welche
Vorschläge das Noch-Nicht-Mitglied
für eine Mitgliedschaft bei der österrei-
chischen Gewerkschaftsbewegung hat
und welche Reformen und Veränderun-
gen es sich wünscht, gilt es ein weiteres
Mal aufzupassen. Schließlich wollen wir
nicht wieder in die Falle tappen, erneut
zu argumentieren.
Gekonnt nachfragen
Vielmehr fragen wir hier gekonnt nach:
„Was würde das bedeuten?“ Oder: „Wel-
che konkreten Schritte würdest du dann
einleiten?“ Mit jeder Frage identifiziert
sich unser Noch-Nicht-Mitglied mit sei-
ner Mitgliedschaft und mit der Möglich-
keit, hier gestaltend bzw. verbessernd zu
wirken. Wir erhalten mit dieser Methode
tiefe Einblicke auf die Landkarte unseres
Noch-Nicht-Mitglieds, aber immer lö-
sungsorientiert statt problemzentriert.
Somit steigen auch die Chancen, nicht
nur ein Mitglied, sondern einen Mitstrei-
ter oder eine Mitstreiterin zu gewinnen.
Wir wünschen viel Erfolg!
Internet:
Audio-Hörbuch zum erfolgreichen
MitarbeiterInnengespräch:
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Die besten WerberInnen sind jene mit den
besten Fragen. Dies zu beherzigen macht
Gespräche mit Noch-Nicht-Mitgliedern deutlich
produktiver, denn man hat die Chance, dass
Interessierte vielleicht sogar spannende
Lösungen vorschlagen.