Arbeit&Wirtschaft 1/201646 Man kann nicht alles wissen
Arbeitsverfassungsgesetz (ArbVG): 1973 unter
Sozialminister Rudolf Häuser nach langen Verhand-
lungen verabschiedetes, am 1. Juli 1974 in Kraft
getretenes Gesetz, das die Zusammenfassung, Ver-
einheitlichung und Weiterentwicklung des Betriebs-
verfassungsrechts und des Berufsverfassungs-
rechts und somit die Rechtsgrundlage für die Inte-
ressenvertretung der ArbeitnehmerInnen in den
Betrieben darstellt. (Seite 30)
Ausnahmezustand 1884: Die Klärung über die Aus-
richtung der österreichischen Arbeiterbewegung
und der sich bildenden Freien Gewerkschaften er-
folgte, von heftigen Kämpfen und gescheiterten
Einigungsversuchen begleitet, zwischen 1870 und
1890. Zunächst standen einander sozial-liberale
„gemäßigte“ und „radikale“ Anhänger der von Karl
Marx gegründeten „Ersten Internationale“ gegen-
über. Unter dem Druck behördlicher Schikanen und
Verfolgung wendete sich ein Teil der „Radikalen“
dem Anarchismus zu. Einige anarchistische Atten-
tate lieferten den Vorwand, 1884 auch über Wien,
Korneuburg und Wiener Neustadt den Ausnahmezu-
stand und 1886 für die ganze Monarchie ein „Anar-
chistengesetz“ zu verhängen. Das bedeutete u. a.
verschärfte Zensur, mehr Polizeikompetenz, Aus-
schaltung der Geschworenengerichte für politische
Delikte und Streikorganisation. Die Sondergesetz-
gebung endete, mit Ausnahmen, 1891. Die Einigung
der großen Mehrheit auf ein gemeinsames Pro-
gramm und die Gründung der Sozialdemokratischen
Arbeiterpartei (SDAP) in Hainfeld 1888/89 fielen in
diese Phase. (Seite 11)
Bawag-Skandal: Im März 2006 wurden Verluste von
1,9 Mrd. Euro durch hochriskante Veranlagungen
der Bank für Arbeit und Wirtschaft bekannt. Schlüs-
selfigur dabei war der in den USA als Investment-
banker tätige Wolfgang Flöttl, Sohn des ehemaligen
Bawag-Generaldirektors Walter Flöttl. Jahrelang
waren diese Verluste nicht in den Geschäftsberich-
ten der Bank aufgetaucht, sondern in Briefkasten-
firmen und Stiftungen versteckt worden. Die Affäre
hatte für den ÖGB, seit 2004 Alleinaktionär der
Bank, weitreichende Folgen: Fritz Verzetnitsch trat
als ÖGB-Präsident zurück, ebenso der Bawag-Auf-
sichtsratsvorsitzende Günter Weninger. Im Mai 2006
gab der ÖGB eine schriftliche und unbegrenzte
Garantie für die Bawag ab. Danach wurde im Nati-
onalrat einstimmig beschlossen, dass der Bund die
Haftung bis zu einer Höhe von 900 Millionen Euro
übernimmt. Im Gegenzug mussten die Bawag und
der ÖGB ihren 20-prozentigen Anteil an der Öster-
reichischen Nationalbank an die Republik abtreten.
(Seite 9)
Better-Regulation-Strategie: Bündel von Instru-
menten, welches von der EU-Kommission im Laufe
der letzten Jahre vorgeschlagen wurde, um die
Rechtsetzung auf europäischer Ebene zu verbes-
sern. Eines der Ziele der Better Regulation-Initiative
ist es, Doppelgleisigkeiten zu vermeiden, nicht
(mehr) erforderliche Rechtsakte zu streichen bzw.
zu überarbeiten und Verwaltungskosten für Unter-
nehmen zu senken. Gesetzliche Vorschriften aus-
schließlich auf ihren Kostenfaktor (für Unterneh-
men) zu reduzieren birgt jedoch die Gefahr, dass
etwa ArbeitnehmerInnen- und Konsumentenschutz
reduziert werden. (Seite 39)
Bildungsfreistellung: Alle aktiven Mitglieder des
Betriebsrates haben während der Funktionsperiode
Anspruch auf drei Wochen Bildungsfreistellung. Bei
besonderem Interesses für eine bestimmte Ausbil-
dung kann die Bildungsfreistellung auf maximal
fünf Wochen ausgedehnt werden. Ein besonderes
Interesse könnte zum Beispiel eine Ausbildung für
AufsichtsrätInnen sein. Für JugendvertrauensrätIn-
nen beträgt die Bildungsfreistellung zwei Wochen.
In Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten besteht
für diese drei Wochen der Anspruch auf Entgeltfort-
zahlung. Bildungsfreistellung kann nur für Veran-
staltungen beantragt werden, die von kollektivver-
tragsfähigen Körperschaften der ArbeitnehmerIn-
nen oder ArbeitgeberInnen veranstaltet oder von
diesen anerkannt werden. Die Bildungsveranstal-
tungen müssen außerdem Kenntnisse vermitteln,
die der Ausübung der Funktion als Betriebsrat/
Betriebsrätin dienen. (Seite 30)
Bottom-up-Modell: Prinzip, nach dem Entscheidun-
gen, Planungsabläufe etc. in Unternehmen, aber
auch in der Politik von unten nach oben, also schritt-
weise vom Konkreten, Speziellen ins Allgemeine
übertragen werden. Beim Bottom-up-Ansatz im
Management vertrauen Führungskräfte nicht auf
die ihnen verliehene Macht und Autorität (Top-down-
Modell), sondern versuchen, die Beschäftigten zu
motivieren und ihre Fähigkeiten optimal zu nutzen.
In der Politik ist etwa die sogenannte Graswurzel-
Bewegung ein Beispiel, bei der Veränderungen
durch Ideen von BürgerInnen entstehen. (Seite 10)
Brosamen: poetisch für Brotkrümel. (Seite 28)
Crowdworking: Realisierung von Projekten durch
freie MitarbeiterInnen, die über spezielle Internet-
Plattformen vermittelt werden. Dazu wird die anfal-
lende Arbeit in sogenannte Micro-Tasks verteilt. Die
Summe dieser, von der Crowd erbrachter Leistungen
ergibt letztendlich das fertige Projekt. Auf Crowd-
work-Plattformen können Unternehmen aus einem
internationalen Heer von FreiberuflerInnen wählen,
die quasi direkt in Konkurrenz stehen. (Seite 40)
Duale Ausbildung: Kombination von praktischer und
theoretischer Ausbildung in Form von Lehre und
Berufsschule. (Seite 41)
friktionslos: reibungslos, frei von unvorhersehbaren
Schwierigkeiten. (Seite 10)
goutieren: Gefallen an etwas/jemandem finden.
(Seite 35)
Insolvenz-Entgeltfonds: 1978 wurde (auf Basis des
Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetzes von 1977) die
Insolvenz-Entgeltsicherung in Österreich eingeführt
und von den Arbeitsämtern vollzogen, 1995 Über-
tragung an die Bundessozialämter; 2001 Ausglie-
derung des gesamten Bereichs und Gründung
der IAF Service GmbH. Die Gesellschaft wurde
2008 in IEF Service GmbH umbenannt und auch von
Gesetzes wegen wurde der Begriff Insolvenz-Aus-
fallgeld wegen der besseren Verständlichkeit in
Insolvenz entgelt geändert. www.insolvenzentgelt.
at (Seite 14)
Kontenregister: Aufstellung aller in Österreich ge-
führten Konten, Sparbücher, Bausparverträge und
Depots; mit der Einrichtung eines zentralen Konten-
registers und der einfacheren Einsichtsmöglichkeit
wurde 2015 das heimische Bankgeheimnis de facto
abgeschafft. Jede Einsichtnahme wird elektronisch
protokolliert. (Seite 29)
Multiplikator: Medium zur vielfachen Verbreitung
einer Botschaft bzw. eines Werbeziels; gemeint sind
meist Personen, die leichten Zugang zur Öffentlich-
keit oder auch besonders viel Einfluss haben, wie
etwa LehrerInnen, JournalistInnen u. ä. (Seite 9)
Pluralisierung: Entstehung vielfältiger Erschei-
nungsformen; in der Politik: ideale Machtverteilung
innerhalb einer Gesellschaft, bei der Macht mög-
lichst unabhängig voneinander auf verschiedene
Gruppen übertragen ist. (Seite 9)
Reich, Robert: US-Experte für öffentliche Politik,
geb. 1946; 1993–1997 Arbeitsminister unter Präsi-
dent Bill Clinton. In seinem Werk „Supercapitalism“
stellte er fest, im vorherrschenden Wirtschaftssys-
tem würden Personen als VerbraucherInnen und
AnlegerInnen zunehmend mehr Macht erhalten, als
ArbeitnehmerInnen und BürgerInnen jedoch immer
weniger. Weitere Publikationen: Nachbeben – Ame-
rika am Wendepunkt; Beyond Outrage: What has
gone wrong with our economy and our democracy
and how to fix it. (Seite 35)
Stiglitz, Joseph: US-Ökonom, geb. 1943, erhielt
2001 den Wirtschaftsnobelpreis, Wirtschaftsbera-
ter von Bill Clinton, Globalisierungskritiker. Mit-In-
itiator des 2009 gegründeten Institute for New
Economic Thinking (INET), um neue Denkansätze für
die Volkswirtschaftslehre zu entwickeln. Anfang
2008 richtete der damalige französische Präsident
Sarkozy eine Kommission zur Messung von wirt-
schaftlicher Entwicklung und gesellschaftlichem
Fortschritt ein, die von den Nobelpreisträgern Joseph
Stiglitz und Amartya Sen sowie von Jean-Paul
Fitoussi geleitet wurde und insgesamt 25 renom-
mierte Wirtschafts- und SozialwissenschafterInnen
umfasste (Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission). Pub-
likationen: Der Preis der Ungleichheit, Reich und
Arm. (Seite 35)