sehen Länder untereinander wird es
kaum möglich sein, daß ein einzelnes
Land eine autonome Krisenbekämp¬
fung erfolgreich zu Ende führen kann«
(S. 127).
In seinem letzten Kapitel »Skepti¬
sches Resümee zur wirtschaftspoliti¬
schen Anwendung« empfiehlt Zinn ne¬
ben den im Verlauf der Analyse erar¬
beiteten Maßnahmen — kurzfristig
eine Anhebung der Lohn- und damit
der Konsumquote sowie weitere Ar¬
beitszeitverkürzung, langfristig die
Sozialisierung der Investitionen und
eine gesamtwirtschaftliche Rahmen¬
planung zur Koordinierung der Kapa-
zitäts- und Nachfrageentwicklungen —
noch den verstärkten Einsatz fiskal¬
politischer Instrumente. Dies vor allem
aus zwei Gründen: erstens weil »auf
dem heutigen Einkommensniveau der
entwickelten kapitalistischen Länder
. . . Nachfragelücken . . . am sichersten
und schnellsten . . . durch höhere öf¬
fentliche Ausgaben (geschlossen wer¬
den können)« (S. 151); zweitens weil
öffentliche Ausgaben — hier etwas zu
vereinfacht gleichgesetzt mit öffentli¬
chen Investitionen — langfristig pro¬
duktiver sind als privater Konsum
und auch unter verteilungspolitischen
Gesichtspunkten höhere Wohlstands¬
effekte aufweisen (S. 151).
Sieht man nun die Zinnschen Über¬
legungen in ihrem bundesrepublikani¬
schen Kontext, so unterscheiden sie
sich ganz eindeutig von den herrschen¬
den wissenschaftlichen und wirt¬
schaftspolitischen Auffassungen: nicht
die Löhne sind zu hoch, sondern die
Profiterwartungen; Vollbeschäftigung
ist nicht das Ziel, zu dem das Wirt¬
schaftssystem automatisch tendiert
und wird auch nicht erreicht durch
noch so weitgehende Lohnzurückhal¬
tung, sondern in hochentwickelten ka¬
pitalistischen Gesellschaften wird es,
ob die Löhne jetzt hoch sind oder nied¬
rig, tendenziell immer schwieriger, ein
Vollbeschäftigungsgleichgewicht zu er¬
reichen. So sehr man diesen Aussagen
zustimmen kann, so wörtlich muß man
bezüglich der daraus gezogenen
Schlußfolgerungen den schon zitierten
Titel des dazugehörigen Kapitels neh¬
men: »Skeptisches Resümee.« Skepti¬
zismus ist hier wohl angebracht. Denn
Zinn versucht leider nicht, seine — im
sozialistischen und keynesianischen
Sinn schon fast traditionellen — Vor¬
schläge zu problematisieren, das heißt
die Schwierigkeiten und Grenzen ihrer
Anwendung zu diskutieren. Insgesamt
bleiben seine wirtschaftspolitischen
Aussagen auf einem allzu einfachen
abstrahierenden Niveau.
Betrachten wir die Vorschläge im
einzelnen. Eine Erhöhung der Kon¬
sumquote könnte sicher für einige Zeit
den Wirtschaftsprozeß zu einer Blüte
alten Stils mit hohen Wachstumsraten
bringen. Aber Anfang der siebziger
Jahre, als dieser Zustand gegeben war,
wurde viel diskutiert über die not¬
wendige Begrenzung von Wachstum
und Konsum. Der Grund dieser Wachs¬
tumsmüdigkeit lag einerseits in öko¬
logischen Überlegungen, anderseits be¬
fürchtete man einen zu rapiden Ver¬
schleiß nicht ersetzbarer Ressourcen.
Wenn sich auch seit Anfang der sieb¬
ziger Jahre die wirtschaftliche Situa¬
tion sehr verändert hat, bleiben diese
Einwände gegen ein hohes Wachstum
dennoch aktuell. Auch scheint Zinn
hier anzunehmen, daß jede Nachfrage¬
steigerung, egal in welchen Bereichen
sie stattfindet, nur positive Folgen hat.
Man hätte wohl erwarten dürfen, daß
der Autor etwas über die längst be¬
kannte Feststellung hinausgeht, daß
bei einer Umverteilung nach unten die
gesamtwirtschaftliche Konsumquote
steigt. So wäre etwa interessant, die
Frage der Beschäftigungswirkungen
verschiedener Nachfragekomponenten
zu untersuchen, das Problem der Sät¬
tigungstendenzen oder die Auswirkun¬
gen von Rohstoff- und Energieknapp¬
heit auf das Wachstum näher zu be¬
leuchten. Schließlich wäre es auch
sinnvoll, sich mit den langfristigen
Entwicklungsperspektiven bei niedri¬
gem Wachstum zu beschäftigen, wie
es etwa Helmut Kramer in diesem
Heft getan hat.2
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