Wirtschaft und Gesellschaft
derung solcher dramatischer Krisen
symptome sind eine stufenweise zu er
höhende Energiesteuer, eine besonde
re Innovationsförderung sowie dezi
diert umweltorientierte Normen und
Verbote. Die Autoren der Studie re
kurrieren vor allem auf die Untersu
chung von Ernst Ulrich von Weiz
säcker u. a. "Zur ökologischen Steuer
reform - europäische Ebene und Fall
beispiel Schweiz" .
Das Problem der Schweiz ist ein dop
peltes: Einerseits verfügt sie über große
alpine Regionen mit prekärer Ökologie,
andererseits ist das Schweizer Alpen
vorland sehr dicht besiedelt und seit
dem Zweiten Weltkrieg einem rasant
fortschreitenden Zersiedelungsprozeß
ausgesetzt. Die bebaute Fläche allein
im "Mittelland" wurde zwischen 1950
und 1 990 um 1 .300 km2 größer (dreifa
che Fläche von Wien). Beinahe 20 Pro
zent des Schweizer Siedlungs- und
Landwirtschaftsgebietes sind schon be
baut. Zugleich wurde die landwirt
schaftliche Bodennutzung intensiviert.
Naturnahe Flächen verschwanden, die
Bodenbelastung mit Schadstoffen aller
Art nahm zu und Bodenpreise stiegen
überproportionaL Trotz existierender
gesetzlicher Handhaben bestehe aber
laut den Autoren der Studie erhebli
cher Vollzugsnotstand.
Am Schluß dieser Besprechung soll
noch der Stellenwert der vorgelegten
Arbeit im ökonomischen Diskurs be
leuchtet werden. Trotz ihrer nunmehr
doch schon relativ langen Entwick
lungsgeschichte und ihrer beachtli
chen Ausdifferenzierung wird die Re
gionalökonomie von der Mainstream
Ökonomie kaum zur Kenntnis genom
men. Dies hat vermutlich auch mit
weitgehender Verdrängung der
Flächen- und Raumdimension im ak
tuellen ökonomischen Diskurs zu tun.
Eine der besonderen Meriten dieser
Schrift besteht nun m. E. in ihrem Ver
such, Regionalpolitik und Ökonomie
im Zusammenhang industrie-, global
ökonomischer und ökologischer Ent
wicklung zu betrachten. Zumeist wird
202
21 . Jahrgang (1 995), Heft 1
dieser Kontext übersehen, wodurch
allzu idealisierende Analysen entste
hen, die den Wirkungsgrad isoliert
eingesetzter regionalpolitischer In
strumente überschätzen lassen.
Die Publikation kann sehr gut als
angewandtes Lehrbuch für Regional
ökonomie fungieren, da es durch Ein
bettung regional- und industrieökono
mischer Prozesse in eine veränderte
europäische und internationale Ar
beitsteilung und unter Einbezug ga
loppierender ökologischer Krisener
scheinungen keine lediglich abstrakte
Ansammlung von Theoremen vermit
telt. Die meisten regionalökonomi
schen Theorien sind also keine bloßen
Gedankenspiele, sondern empirisch
sorgfältig abgeleitete Generalisierun
gen wirtschaftlicher Entwicklungs
verläufe.
Da Österreich zu den europäischen
Ländern mit entwickelter föderalisti
scher Staatsstruktur zählt, sind viele
in der Studie angestellte Überlegun
gen auch auf unser Land anwendbar.
Die neuere Tendenz sowohl innerhalb
der EU wie auch in einzelnen wichti
gen Mitgliedstaaten (Frankreich, Ita
lien, Spanien, Belgien), verstärkt Fö
deralisierungs- und Regionalisie
rungsstrategien umzusetzen, bestätigt
die Vorläuferrolle klassisch-föderali
stischer Staaten (Schweiz, Bundesre
publik Deutschland und Österreich).
Und die vor den Nationalratswahlen
laufende Diskussion um eine Öster
reichische Bundesstaatsreform de
monstriert die Aktualität dieser Aus
einandersetzung.
Die Publikation ist vielleicht in
mancherlei Hinsicht kein originärer
Entwurf - wieviele Arbeiten genügen
schon einem solchen Anspruch -, sie
kann aber durch ihre klar und über
sichtlich strukturierte Zusammenfü
gung wesentlicher theoretischer und
empirischer Arbeiten dennoch einen
qualitativen Beitrag für die regional
ökonomische Theorie und Praxis lei
sten.
Peter Kreisky