Wirtschaft und Gesellschaft 25. Jahrgang ( 1 999), Heft 3
und zumindest unter den Teilneh merländern an der dritten Stufe
der Wirtschafts- und Währungsu nion wurden die Unsicherheiten
bezüglich Wechselkursschwanku ngen elimin iert.
Allerdings bl ieb eine wesentl iche Voraussetzung für nachhalti
ges Wachstum u nerfü llt, nämlich die gleichgewichtige Entwick
lung der nachfrageseitigen mit den angebotsseitigen Faktoren .
Die Entwicklung der Einkommen der U nselbständigen verlief i n
Europa im Durchschnitt deutlich langsamer a l s der Produktivitäts
zuwachs. Dies dämpfte den größten Nachfragefaktor, den Kon
sum der privaten Haushalte. Da daneben auch die Ausgaben der
öffentlichen Haushalte durch die Konsolidierungsbemü h ungen
zur Erreich u ng der Maastricht-Kriterien eingebremst wurden, u nd
da die I nvestitionen infolge von hohen Realzinsen und schwachen
N achfrageerwartungen gebremst wurden, litt die europäische
Wirtschaft i n den neu nziger Jahren u nter einer Schwäche der
Binnennachfrage. Diese war dafür mitverantwortlich, daß die Dy
namik der Konjunkturaufschwünge in d iesem Jahrzehnt deutlich
weniger kräftig ausfiel als in früheren Konjunkturzyklen.
Der jüngste, nach den Finanzmarktturbulenzen 1 995 in West
europa in Gang gekommene Wirtschaftsaufschwung kam zu
Jahremitte 1 998 ins Stocken , als nach Südostasien auch Ruß
land in eine tiefe Krise taumelte, u nd das Übergreifen auf Latein
amerika ließ n icht lange auf sich warten . Das Wachstum des
Welthandels erlitt einen drastischen Einbruch von 1 0 ( 1 997) auf 2
Prozent ( 1 998). N icht nur die Wachstumsprognosen für d ie I ndu
strieländer mu ßten spürbar reduziert werden, dazu kam auch
noch ein enormer Anstieg der Risken. Die einzelnen Risikofakto
ren waren nicht mehr- wie sonst ü blich - separat zu bewerten ,
sondern e i n e Kettenreaktion drohte: wird ein Risiko (z. B. Brasili
en) schlagend, so werden auch die ü brigen (U S-Aktienmärkte,
Rußland und Osteuropa, China . . . ) aktiviert. Wird ein Ziegelste i n
entfernt, s o bricht das ganze Gebäude zusammen . D i e Weltwirt
schaft insgesamt stand zumindest näher an der Kippe als seit vie
len Jahren.
Ein knappes Jahr später läßt sich die Beurteilung der Lage in
eine gute und eine schlechte Nachricht fassen. Letztere besagt,
daß die Wachstumsabschwäch u ng kräftiger ausgefallen ist, als
noch sechs M onate zuvor prognostiziert wurde . Die gute Nach
richt lautet, daß die damals angeführten Risikofaktoren heute deut
l ich geringer bewertet werden kön nen, da sowohl in Lateinameri
ka als auch in Südostasien die Stabil isierung der Lage gelungen
sein d ürfte. Die Gefahr des Absturzes der Weltkonj u n ktur scheint
abgewehrt, nach dem derzeitigen Wissens- u nd Erfahrungsstand
dürfte durch die Krisenherde bloß eine vorübergehende Delle in
der Konjunkturentwickl ung eingetreten sein, welche zu Jahresen
de schon wieder ü berwunden sein sollte.
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