27. Jahrgang (200 I), Heft 2 Wirtschaft und Gesellschaft
Editorial
Die zittrige Hand der EZB als
Konjunkturrisiko?
ln der Regel will die Wirtschaftswissenschaft nicht nur Selbst
zweck bleiben , sondern der Wirtschaftspolitik für deren Handeln
notwendige und sinnvolle Informationen zur Verfügung stellen. Da
die Wirtschaftswissenschaft aber bekanntlich keine Naturwissen
schaft, sondern eine Sozialwissenschaft ist, sind weder ihre Er
kenntnisse objektiver Natur, und natürlich schon gar nicht die
Schlüsse, die daraus in Richtung wirtschaftspolitischen Hand
lungsbedarfes gezogen werden. Wie groß die sich dadurch für
unterschiedliche Interessenlagen ausbreitende Spielwiese ist,
zeigt sich etwa am Thema " Nulldefizit der öffentlichen Haushalte":
Mit welchen Maßnahmen soll dieses erreicht werden? ln welchem
Zeitraum? Ja, macht dieses Ziel überhaupt Sinn?
Der Wirtschaftsforscher ist also daran gewöhnt, daß seine Er
kenntnisse schon in ruhigen und kalkulierbaren Zeiten kontrever
sieil diskutiert werden. Daran läßt sich ablesen, wie unterschied
lich erst die Auffassungen bezüglich adäquater Schritte der Wirt
schaftspolitik ausfallen werden , wenn große Unsicherheiten in der
Einschätzung der kurzfristigen Entwicklung bestehen, genau ge
nommen - bedingt durch das verzögerte zur Verfügung stehen
von Meßdaten - sogar in der Einschätzung der gegenwärtigen
Lage und der jüngsten Vergangenheit. Und die aktuelle Wirt
schaftslage dürfte - wieder einmal - genau einer solchen Situati
on entsprechen.
I. Revidierte Konjunkturprognosen
ln der zweiten Jahreshälfte des Jahres 2000 begannen weltweit
praktisch alle Ersteller von Konjunkturprognosen, ihre Vorhersa
gen zurückzunehmen, und dieser Prozeß setzte sich in den er
sten Monaten des Jahres 2001 - teils sogar beschleunigt - fort.
Läßt man die weitgehend hausgemachten Probleme, an welchen
die japanische Wirtschaft schon im gesamten Verlauf der
neunziger Jahre laborierte, außer Betracht, so sind dafür im we
sentlichen zwei ursächliche Faktoren zu identifizieren. Erstens
verursachten die - allerdings yon einem extrem niedrigen Niveau
aus - geradezu explodierten Olpreise in den erdölimportierenden
Ländern Preissteigerungen und damit eine Dämpfung von Kauf
kraft und wirtschaftl icher Aktivität. Der daraus resultierende Revi-
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