Wirtschaft und Gesellschaft 31. Jahrgang (2005), Heft 2
auch für die Lohnspreizung zwischen den am besten und am schlechtes
ten verdienenden Arbeitnehmergruppen.
Da Pattern Bargaining immer auf einem vergleichsweise dezentralisier
ten Tarifsystem aufsitzt, ist aus all dem zu folgern, dass von ihm keine nen
nenswerten Nivell ierungstendenzen ausgehen . Folgt man der oben skiz
zierten Argumentation , sind N ivellierungsprozesse nur innerhalb des Gel
tungsbereichs eines Tarifvertrags zu erwarten. Für dezentral isierte Tarif
systeme, die eine Vielzahl von in ihrem Geltungsbereich d ifferenzierten
Tarifverträgen umfassen , sind deshalb vor allem Nivell ierungseffekte von
makroökonomischer Relevanz in jedem Fal l auszuschl ießen . Wahr
schein l ich sind vielmehr intersektorale Differenzierungsprozesse, da im
Rahmen dezentralisierter Systeme ökonomisch und verbandspolitisch star
ke Sektoren die Möglichkeit haben, sich durch höhere Tarifabschlüsse von
den anderen Sektoren abzuheben . Ein solches Interesse an höheren Ta
rifabschlüssen ist grundsätzlich sowohl für die Arbeitnehmer- als auch für
die Arbeitgeberseite der starken Sektoren gegeben. Für d ie Gewerk
schaften resultiert es aus dem nahe l iegenden Grund, dass die Verbes
serung der relativen Lohnposition der Beschäftigten ihres Sektors im inter
sektoralen Vergleich ihre Legitimität als I nteressenvertretung stärkt. Für
die Arbeitgeber b ieten höhere Tarifabschlüsse bessere Chancen in der
Konkurrenz um qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte. Ein solches Dif
ferenzierungsinteresse ist auch für den lohnführenden Sektor, der zu den
starken Verhandlungseinheiten zählt, anzunehmen. Bezeichnenderweise
sind in Japan und Österreich, deren Tarifsysteme allgemein als Fälle von
Pattern Bargaining klassifiziert werden, die intersektorale Lohndifferenzi
ale größer als in den meisten anderen Ländern.16 ln Schweden war es das
Ausscheren der Metall industrie aus dem Verhandlungsverbund der Spit
zenverbände von LO and SAF in Reaktion auf den Verlust ihrer dominan
ten Position im Verbund, der 1983 den Niedergang der solidarischen Lohn
politik und des zentralisierten Tarifsystems einleitete.
Die Quintessenz dieser Überlegungen ist, dass im Rahmen dezentrali
sierter Verhandlungssysteme eine Pol itik intersektoraler Lohnnivell ierung
n icht realisierbar ist. Dies gi lt unabhängig davon, ob d ie Tarifabschlüsse
in diesen Systemen gesamtwirtschaftlich koordiniert sind oder n icht. Dies
bedeutet, dass al lein der Zentralisationsgrad, nicht jedoch der Koordinie
rungsgrad des Tarifsystems systematischen Einfluss auf die Lohnsprei
zung nimmt. 17
3.2 Inflation und Beschäftigung
l n ihren Anfängen konzentrierte sich die diesbezügliche Debatte auf den
Zentralisationsgrad des Tarifsystems (d . h. auf d ie Ebene des formalen
Tarifabschlusses) in Entsprechung des oben erwähnten Tatbestandes,
176