Wirtschaft und Gesellschaft 32. Jahrgang (2006), Heft 4
zisten, Journal isten und Politikern . Mit diesen Investitionen wurde eine ,Marke'
der Einschüchterung aufgebaut, die sich auf allen möglichen Märkten gewinn
bringend einsetzen ließ. Den Charakter von Geheimbünden besaßen die Mafia
Famil ien, weil sie ihre Mitglieder sehr sorgfältig auswählen mussten und ihnen
als Gegenleistung für die Vorteile der Mitgliedschaft strenge Verhaltensregeln
auferlegten , v. a. Verschwiegenheit, Gehorsam und erbarmungslose Gewaltbe
reitschaft. Die ,Verfassung' der Mafia trieb den Preis für Verrat stark in die Höhe,
und die territorialen Herrschaftszonen dienten dazu, Streitigkeiten zwischen be
nachbarten Banden hintanzuhalten.
Die Mitgliedschaft der Mafia bestand aus Bauern, gabel/oti, Wächtern,
Schmugglern, Dieben, Banditen, aber auch die Oberschichte Sizil iens (Groß
grundbesitzer, Unternehmer, Anwälte) war stark von der Mafia durchsetzt, wie
der I nnenminister 1 876 in einem Bericht feststellte. Die Mafia hatte also n icht
Klassencharakter, sondern war in allen gesellschaftl ichen Schichten vertreten .
Spätestens Mitte der 1 870er Jahre waren d ie wichtigsten Elemente der Mafia
Methode im Raum Palermo fest etabliert. "Die Mafia hatte ihre Schutzgelder und
einflussreichen politischen Verbündeten, und sie hatte auch ihre Zellenstruktur,
ihren Namen, ihre Rituale sowie einen unzuverlässigen Staat als Gegner." (S. 94)
Noch ungeklärt ist die Frage, ob es in dieser Phase eine Mafia oder viele solcher
Organisationen, die eher lose miteinander vernetzt waren, gab.
Ohne ihre besonderen Beziehungen zu Politikern wäre die Mafia unbedeutend
geblieben. Es hätte keinen Sinn gehabt, Polizisten und Untersuchungsrichter zu
bestechen, wenn deren Vorgesetzte den Rechtsnormen unparteiisch Geltung
verschafft hätten . Die aufkommende ländliche Mittelschicht und ihre Verbünde
ten aus der Gewaltbranche dominierten rasch die neuen kommunalen lnstituti
onen. 1 Schon in den 1 860er Jahren bi ldete das organ isierte Verbrechen einen
integralen Bestandteil der regionalen Politik Siziliens. Im Rahmen einer Parla
mentsdiskussion über die Probleme Siziliens im Jahre 1 875 wies ein ehemaliger
hoher Untersuchungsbeamter auf die Bedeutung und die Wirkung der Verflech
tungen zwischen Politik und Mafia hin: "Die Mafia ist in Sizilien nicht von sich
aus gefährlich und unbesiegbar. Gefährlich und unbesiegbar ist sie, weil sie ein
Instrument der lokalen Verwaltung darstellt." (S. 1 05)
Klientelismus, Vetternwirtschaft und Korruption bestanden in ganz Süditalien
von jeher. ln Sizilien gestaltete sich der Tausch von Wählerstimmen und anderen
Leistungen gegen Vergünstigungen pfadabhängig gemäß den Besonderheiten
der Gewaltindustrie und ihres i nstitutionellen und gesellschaftl ichen Umfeldes.
Politiker und Beamte, die der Mafia angehörten oder mit ihr verbündet waren,
bemächtigten sich öffentlicher Ressourcen - budgetärer Mittel , Arbeitsplätzen,
Verträgen, Lizenzen, Bewill igungen, I nformationen etc. - und investierten sie in
ihren persönlichen Unterstützematzwerken oder Klientengruppen, im konkreten
Fall im organ isierten Verbrechen. Die Mafia lieferte n icht nur Wählerstimmen und
Informationen, sondern unterstützte die lokalen Behörden auch bei der Aufrecht
erhaltung der Ordnung, insbesondere bei der Bekämpfung von Bauernunruhen,
lokalen Aufständen und des Banditenunwesens. Politische Leitgedanken hatte
die Mafia keine, nur Strategien. "Oberstes Prinzip ist der Opportunismus." (S.
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