33. Jahrgang (2007), Heft 3 Wirtschaft und Gesellschaft
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Editorial
Vollbeschäftigung – was ist das?
Als Zielsetzung und Aufgabenstellung für die Wirtschaftspolitik hat-
te die Vollbeschäftigung vor allem in den Jahren nach dem Wachs-
tumsknick von 1975 einen hohen Stellenwert. Besonders in der ersten
Phase der heute von gewissen Kreisen als „Schuldenpolitik“ schlecht-
geredeten Vollbeschäftigungspolitik der Ära Kreisky konnte die Zunah-
me der Arbeitslosigkeit hierzulande im Vergleich zum europäischen
Durchschnitt zunächst in engen Grenzen gehalten werden.
Danach kam es jedoch zu einer allmählichen Gewöhnung an das
Ansteigen der Arbeitslosigkeit, und das Thema Wiedererreichen der
Vollbeschäftigung verlagerte sich weg von der tatsächlichen Politikge-
staltung hin in die Sonntags- und Festreden. Stattdessen wurde mehr
über die im internationalen Vergleich günstige Arbeitsmarktlage in Ös-
terreich geredet. Zu Beginn der Neunzigerjahre – 1992 – betrug die
Arbeitslosenrate nach der Eurostat-Definition in Österreich 3,4%, im
EU-Durchschnitt hingegen fast 9%. Besonders nach dem Antritt der
„Wenderegierung“ 2000, als die keynesianische Wirtschaftspolitik of-
fiziell verabschiedet wurde, näherte sich die Arbeitsmarktlage in Ös-
terreich dem EU-Durchschnitt immer mehr an. 2005 betrug die öster-
reichische Arbeitslosenrate 5,2% und der EU-Durchschnitt 7,9%. Der
Abstand war also schon stark zusammengeschmolzen – ein Ergebnis
der angeblich „hervorragenden“ Wirtschaftsentwicklung in unserem
Land, die von den Wählern allerdings nicht honoriert wurde.
Erfreulicherweise hat die im Jänner 2007 angetretene neue Bun-
desregierung die Wiedererreichung der Vollbeschäftigung zu ihrem
wichtigsten Ziel erklärt, und sie möchte dies möglichst noch bis zum
regulären Ende der Legislaturperiode 2010 verwirklichen. Im Zuge des
derzeitigen Konjunkturaufschwungs in Europa und Österreich, welcher
noch vor einem Jahr in dieser Stärke und Beständigkeit von nieman-
dem erwartet wurde, ist die Beschäftigung stark gestiegen, und auch
die relative und absolute Arbeitslosigkeit sinkt.
Wenn die Bad Ischler Deklaration der Sozialpartner vom Oktober
2006 die Erreichung der Vollbeschäftigung noch als Ziel bis 2016 defi-
nierte, so scheint sie aus heutiger Sicht – September 2007 – manchen
Politikern schon zum Greifen nahe zu sein oder jedenfalls innerhalb
eines kürzeren Zeitraums realisierbar. Spätestens an dieser Stelle
stellt sich allerdings die Frage, unter welchen Bedingungen man legi-
timerweise von Vollbeschäftigung sprechen könnte und wie hoch die
Arbeitslosenrate dann sein müsste. Besonders die Unternehmerseite
hat es eilig mit Feststellungen, dass „der Arbeitsmarkt leer gefegt sei“,