36. Jahrgang (2010), Heft 2 Wirtschaft und Gesellschaft
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Zu den zentralen historischen Vo-
raussetzungen der Industriellen Revo-
lution zählt die gesellschaftliche Hoch-
schätzung der Arbeit. Diese war in den
Hochkulturen der Vergangenheit ab-
solut nicht gegeben. Als die den Ober-
schichten angemessene Tätigkeit wur-
den dort der Krieg, die Jagd und das
Priesteramt betrachtet, die produktive
Arbeit blieb – verachtete – Angelegen-
heit der Unterschichten. Das galt auch
und in besonderem Maße für die an-
tiken Kulturen. Lediglich die „artes li-
berales“, also Architektur, Medizin und
Wissenschaft, galten als Tätigkeiten,
welche Angehörigen der Oberschicht
entsprachen.
Diese Situation änderte sich grund-
legend mit dem Aufkommen des Chris-
tentums. Zwar stand der Begriff Arbeit
zunächst im Zusammenhang mit einer
Strafe: Gott lässt Adam für seinen Un-
gehorsam damit büßen, dass dieser
forthin „sein Brot im Schweiße seines
Angesichts“ erarbeiten müsse. Eine
solche Bewertung fand sich jedoch in
der christlichen Theologie fast über-
haupt nicht. In deren Rahmen wurde
die Arbeit durchwegs positiv einge-
schätzt, und zwar jegliche. Die Diskus-
sion setzt explizit sämtliche Arten von
Arbeit in ihrem Wert gleich. Immer wie-
der wurde die Tätigkeit des Landwirts
in ihrer Bedeutung hervorgehoben.
Selbstverständlich wurde die Arbeit
kirchlicherseits in erster Linie religiös
konnotiert. So sahen viele Theolo-
gen ihren Wert darin, dass mit ihr der
Christentum und Arbeit
Rezension von: Verena Postel, Arbeit
und Willensfreiheit im Mittelalter, Franz
Steiner Verlag, Stuttgart 2009, 189 Seiten,
broschiert, € 39.
Schöpfungsauftrag Gottes realisiert
werde, doch gewinne sie für den Men-
schen auch dadurch an Bedeutung,
als sie ihm die Möglichkeit eines sinn-
vollen und gottgefälligen Lebens sowie
die Entfaltung der ihm verliehenen Ta-
lente ermögliche, sie sei damit sogar
als Gnade Gottes zu betrachten. Auch
wurde durchaus der ökonomische As-
pekt gesehen, nämlich die Funktion
der Arbeit als Sicherung des Lebens-
unterhaltes und sohin auch ihr Beitrag
zum Wohle der Gemeinschaft. Diese
Sichtweise beschränkte sich keines-
wegs darauf, die Arbeit gesellschaftlich
anzuerkennen, sondern diese wurde
häufig kategorisch gefordert – Müßig-
gang sei verdammenswert.
Manche Theologen vertraten die
Auffassung, dass sich am Resultat der
Arbeit die Auserwähltheit des Men-
schen ablesen lasse, was vor allem für
den Calvinismus galt. Zwar sei es dem
Menschen nicht möglich, durch Arbeit
und gute Werke die Gnade Gottes zu
erlangen, denn diese liege ausschließ-
lich in der autonomen Entscheidung
des Herrn, aber sein Urteil lasse sich
am Resultat der Arbeit, also am Wohl-
stand erkennen. In dem dadurch kre-
ierten Lebensstil sah Max Weber das
wesentliche Element der Entstehung
des Kapitalismus.
Dieser Ansatz lässt sich aber viel
weiter zurückverfolgen und findet sei-
nen Ausdruck eben in der grundlegen-
den Diskussion, ob der Mensch durch
Arbeit, sozusagen als gutes Werk, die
Gnade Gottes erringen könne oder
nicht, in welchem letzteren Fall diese,
mit ihren guten Eigenschaften für den
Menschen, Resultat dieser Gnade sei.
Verena Postel hat es nun unternom-
men, die Positionen der wichtigsten
christlichen Theologen des Mittelalters
darzulegen, wobei sie in der Spätan-
tike mit Augustinus und Ambrosius