Wirtschaft und Gesellschaft 37. Jahrgang (2011), Heft 1
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In dieser Arbeit geht es um die Frage, wie sich Wirtschafts- und Arbeits-
marktkrisen über unterschiedliche Wirkungsmechanismen auf diese viel-
fältigen Arbeitsbedingungen, aber auch auf das dahinter stehende System
wohlfahrtsstaatlicher Mikroregulierungen des Arbeitsmarktes und damit
auf die Wohlfahrt aller ArbeitnehmerInnen (der Beschäftigten wie der Ar-
beitslosen) auswirken.
2. Die Notwendigkeit des Wohlfahrtsstaats
Wie und mit welchen expliziten und impliziten Inhalten, Forderungen
und Verpflichtungen ein Arbeitsvertrag konkret ausgefüllt wird, hängt in
der idyllischen Welt des perfekten Wettbewerbsmarktes allein von den
technischen Gegebenheiten, den Präferenzen und Ausstattungen absolut
freier und perfekt mobiler Arbeitsanbieter ab, die mit ihren jeweiligen Ar-
beitgebern in beiderseitig vorteilhafte, effiziente Tauschbeziehungen ein-
treten. Dieses, von allen hässlichen Machtasymmetrien und Informations-
mängeln, aber auch von komplexer Heterogenität, zeitlichen und örtlichen
Unteilbarkeiten der Leistungserstellung gereinigte Bild der Funktionsweise
„des“ Arbeitsmarktes ist natürlich absolut realitätsfremd. Leider hat man
den Eindruck, dass die OECD-Propheten der „Arbeitsmarktflexibilisie-
rung“ noch immer so tun, als handle es sich bei diesem Modell um eine
real umsetzbare Utopie, wäre nur ein entsprechender politischer Reform-
wille vorhanden…
Dabei wird ignoriert, dass sogar die moderne neoklassische Arbeits-
markttheorie diesem idyllischen Bild der Funktionsweise eines idealen Ar-
beitsmarktes klar widerspricht. So zeigen etwa Lang und Majumdar (2004)
überzeugend auf, dass bei Präsenz von Friktionen auf Arbeitsmärkten und
heterogenen Präferenzen von Arbeitsanbietern die klassischen Resultate
der Nettokompensationstheorie von Rosen (1974) keine Gültigkeit mehr
haben. Aus theoretischen Überlegungen im Rahmen der allgemeinen
Gleichgewichtstheorie ziehen die beiden Autoren den Schluss: „The model
… generates a potential justification for such diverse policies as occupa-
tional safety legislation, minimum wage laws, and maximum hours laws.“
Auch Anti-Diskriminierungspolitik, sogar das Verbot bestimmter Tätig-
keiten (oder Restriktionen bei bestimmten Arbeitsplatzcharakteristiken)
können in diesem geringfügig um realistische Annahmen erweiterten Mo-
dellrahmen sinnvoll, weil effizienzverbessernd sein. Lang und Majumdar
zeigen auch, dass unter solchen Bedingungen positiv bewertete nicht-pe-
kuniäre Arbeitsplatzcharakteristika und höhere Entlohnung im Allgemei-
nen sogar positiv miteinander korreliert sein werden – eine These, die
diametral den Vorhersagen der klassischen Nettokompensationstheorie
(nach der nicht-pekuniäre Nachteile durch monetäre Ausgleichszahlun-
gen kompensiert werden müssen) widerspricht. Das heißt, angenehmere