9
Staatsbürgerschaft zu entziehen, auch wenn dies zum Entzug der Unionsbürgerschaft und
zur Staatenlosigkeit führe.
Die Dominanz der Mitgliedsstaaten als Akteure in diesem Feld bestätigt auch der Umgang
der Europäischen Union mit dem restriktiven Staatsbürgerschaftsrecht Lettlands und der
Situation der „Ausgelöschten“ in Slowenien. In Lettland, das der russischsprachigen
Minderheit den Staatsbürgerstatus absprach und sie zu „Nicht-Bürgern“ erklärte, wurde im
Beitrittsverfahren der Spielraum der EU, hier korrigierend zu wirken, nicht ausgenutzt. Die
„Nicht-Bürger“ bekamen den Status langansässiger Drittstaatsangehöriger, der keine
politischen Rechte umfasst und auch aufenthaltsrechtlich schwächer ist. Auf die gleiche Art
wurde auch die Situation der „Ausgelöschten“ in Slowenien – etwa 18.000 BürgerInnen
anderer jugoslawischer Teilrepubliken, die in Slowenien nach der Staatsgründung aus den
Personenstandsregistern gelöscht worden waren, geregelt. Auch diese bekamen ohne
Widerspruch der EU nicht den Staatsbürgerstatus, sondern den Status eines/r
langansässigen Drittstaatsangehörigen (Medved 2009, 321). De facto wird also das Vorrecht
der Mitgliedsstaaten bei der Gestaltung der Ein- und Ausbürgerungsbedingungen seitens der
EU-Institutionen weitgehend unwidersprochen akzeptiert und der Status des
„langansässigen Drittstaatsangehörigen“ als adäquater „Ersatz“ für die Staatsbürgerschaft
wahrgenommen.
4. Denationalisierung der Staatsbürgerschaft?
In seinem Buch „Democracy and the Nation-State – Aliens, Denizens and Citizens in a World
of International Migration” beschrieb der schwedische Politologe Tomas Hammar 1990
erstmals die Auflösung der starren Grenze zwischen In- und AusländerInnen in den
nordischen Gesellschaften. Diese hatten aufgrund des Drucks der Gewerkschaften und der
Zivilgesellschaft, aber auch aufgrund grundlegender Überlegungen der regierenden
Sozialdemokratie zur politischen und gesellschaftlichen Inklusion, seit den 1980ern damit
begonnen, das Aufenthaltsrecht legaler EinwanderInnen zu stärken und ihnen Zugang zu
jenen sozialen Rechten zu gewähren, die zuvor an die Staatsangehörigkeit geknüpft waren.
Mit der Entkoppelung des kommunalen Wahlrechts von der Staatsbürgerschaft sollte in den
nordischen Ländern zudem die politische Integration der Zugewanderten gefördert werden.
Diese Loslösung wesentlicher Rechtsbestände von der Staatsangehörigkeit und ihre
Anknüpfung an eine Mindestaufenthaltsdauer beschrieb Hammar als neues
gesellschaftliches Integrationsmodell, das die scharfe Trennung zwischen In- und Ausländer
aufhob. „Denizens“ waren im mittelalterlichen Venedig und im britischen „Act of Settlement“
aus dem Jahr 1701 Common Law Fremde, die über ein Niederlassungsrecht verfügten und
von der Krone geschützt wurden, aber keinen Zugang zur politischen Teilhabe hatten4.
Hammar übernahm diesen Begriff zur Kategorisierung der von ihm beschriebenen
Entwicklung, in der er eine für Migrationsgesellschaften sinnvolle Möglichkeit der
Angleichung der Rechtsstellung von AusländerInnen und Staatsangehörigen außerhalb der
Einbürgerung sah, und plädierte für deren Ausweitung.
Auf ähnlichen Befunden aufbauend, beschrieb Yasemin Soysal (1994) die ihrer Beobachtung
nach stattfindende „Denationalisierung“ der Staatsbürgerschaft und die Verschiebung
staatsbürgerschaftlicher Rechte in den menschenrechtlichen Bereich. Obwohl sie die
4 Der „Act of Settlement“ erlaubte den Denizens den Grunderwerb, schloss aber dessen Vererbung aus, ebenso wenig durften
Denizens zu Abgeordneten gewählt werden, Militärdienst leisten oder Zivil- oder Militärbeamte werden. Eine ähnliche Regelung
hatte es bereits im mittelalterlichen Venedig gegeben, auch das Römische Reich kannte bereits den Status der „civitas sine
suffragio“.