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Nationalstaatlichkeit, Migration und Staatsbürgerschaft rückten seit den 1980ern vermehrt in
den Fokus der Diskussion. Dabei lassen sich zwei Entwicklungen feststellen: In Europa kam
es vermehrt zu Konflikten um regionale Minderheiten und zu einer wachsenden Debatte über
Sprachenrechte von Minderheiten in Europa, während in den USA und Kanada die
(Wieder)entdeckung der First Nations die Debatte um die Anerkennung kultureller
Traditionen von EinwanderInnen anstieß. Aus diesen Debatten entstand eine breite
Diskussion zu den Themen Multikulturalismus und Citizenship, die hier nicht näher
beschrieben wird (z.B. Glazer 1997, Kymlicka 1995, Parekh 2000). Während sich diese
Debatte auf die Ausweitung von Staatsbürgerschaftsrechten in den Bereich der kulturellen
Rechte konzentrierte, stellte ein weiterer, in den 1990er Jahren entfachter Diskussionsstrang
vor allem den Zusammenhang zwischen Staatsbürgerrechten und Staatsangehörigkeit zur
Diskussion.
3. Einbürgerung und Unionsbürgerschaft
Damit der StaatsbürgerInnenschaft eines EU-Staats auch – mit wenigen Ausnahmen1 - der
Besitz der Unionsbürgerschaft mit den damit verbundenen Mobilitätsrechten einhergeht, hat
die Einbürgerungspolitik auch eine europäische Dimension. Die EU-Verträge belassen zwar
die Kompetenz zur Gestaltung des Staatsbürgerschaftsrechts in der Kompetenz der
Mitgliedsstaaten. Dennoch liegen inzwischen einige zentrale EuGH-Urteile zum
Zusammenhang zwischen Staatsbürgerschaft und Unionsbürgerschaft vor, die die
Mitgliedsstaaten verpflichten, bei der Gestaltung ihrer Einbürgerungspolitik die Interessen
der anderen Mitgliedsstaaten mitzuberücksichtigen, und in einigen Mitgliedstaaten finden
sich spezielle Bestimmungen für die erleichterte Einbürgerung von StaatsbürgerInnen eines
anderen EU-Staates. In der wissenschaftlichen Literatur wird mehrheitlich die Haltung
vertreten, dass die „essentielle Bedeutung des Staatsangehörigkeitsrechts für die Existenz
der Mitgliedstaaten“ (Stewen 2011, 20) einer Verlagerung dieses Politikfeldes auf die EU-
Ebene und einer Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Staatsbürgerschaftsrechts
entgegenstehe; es finden sich allerdings auch Minderheitenpositionen, die argumentieren,
dass die Anknüpfung der Unionsbürgerschaft an die Staatsangehörigkeit zu einem
Mitgliedsstaat verlange, dass die Europäische Kommission Schritte hin zur Entwicklung
eines gemeinsamen europäischen Staatsbürgerschaftsrechts setze (a.a.O.).
Auch die Judikatur des Europäischen Gerichtshof bestätigt, dass der Zugang zur
Staatsbürgerschaft allein der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten unterliegt, sie
verweist aber hier auch auf die Notwendigkeit, die Auswirkungen der Einbürgerungspolitik
auf andere Mitgliedstaaten zu berücksichtigen (vgl. i.d.F. Stewen 2011, 21ff.). Die beiden
wichtigsten EuGH- Urteile in diesem Bereich, der Fall Micheletti2 aus dem Jahr 1992 sowie
der Fall Rottmann3 aus dem Jahr 2010, bestätigen die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für
die Gestaltung der Staatsbürgerschaftspolitik unter Berücksichtigung der Beachtung des
Unionsrechts. Im Fall Rottmann stellte der EuGH zudem fest, dass ein Mitgliedsstaat dazu
berechtigt sei, im Fall einer Einbürgerung aufgrund absichtlicher Täuschung die
1 Die den autonomen Gebieten Grönland und Faröer Inseln zugehörigen dänischen Staatsangehörigen sowie die britischen
BürgerInnen der Kanalinseln Jerseys und Guernersey sowie der Isle of Man sind nicht im Besitz der Unionsbürgerschaft. Keine
Unionsbürgerrechte haben zudem spanische Staatsangehörige, die aufgrund verschiedener mit lateinamerikanischen Staaten
geschlossener Abkommen die Staatsangehörigkeit eines dieser Staaten angenommen haben und ihre spanische
Staatsangehörigkeit dafür ruhend gestellt haben. Mit der Wohnsitznahme in Spanien leben ihre Rechte als StaatsbürgerInnen
sowie die damit verbundene Unionsbürgerschaft wieder auf (De Groot 2002).
2 C-369/90, Micheletti und Andere gegen Delegacion del Gobierno en Catanbria (1992)
3 C-135/08, Rottmann gegen Freistaat Bayern (2010)