50 — Steiner / Abbruch & Schulversagen — I H S
Schließlich zeigen sich deutliche Unterschiede bei den Schulversagens- und Verlustraten auf
der Sekundarstufe II. Die Bandbreite reicht hier von 30% der Kohorte, die von der Einstiegs-
bis zur Abschlussklasse Probleme oder Diskontinuitäten im Ausbildungsverlauf aufweisen
bis hin zu 64%, die auf die eine oder andere Art „verloren“ gehen. Die niedrigsten Schulver-
sagens- und Verlustraten weisen dabei die allgemeinbildenden höheren Schulen insgesamt
sowie differenziert nach verschiedenen soziodemographischen Merkmalen auf. Dies führt zu
dem Befund, dass sich diese Schulform nach der starken sozialen Selektion beim Eintritt als
die am wenigsten selektive im Laufe der weiteren Ausbildung herauskristallisiert. Die höchs-
ten Schulversagens- und Verlustraten zeigen sich demgegenüber in den berufsbildenden
mittleren Schulen und hier wieder ganz besonders in den kaufmännischen Formen. Wenn
man auch die oftmals gewählte Umgehung der Polytechnischen Schule auf der neunten
Schulstufe am Weg in das duale System in die Überlegungen miteinbezieht, bleibt dennoch
ein Ausmaß an Verlusten und Problemen bestehen, das als Grundlage für die Notwendigkeit
von Reformen und zusätzlichen Unterstützungsmaßnahmen für diese Schulform herangezo-
gen werden sollte.
Hinsichtlich der beiden Querschnittsthemen Migrationshintergrund und regionale Unter-
schiede zeigen sich auch bei den Schulversagens- und Verlustraten auf der Sekundarstufe II
interessante Befunde. Die Verlustraten der SchülerInnen mit nicht-deutscher Umgangsspra-
che sind auf der Sekundarstufe II deutlich erhöht und liegen im Fall der AHS und BHS bei-
nahe doppelt so hoch wie die jener SchülerInnen mit deutscher Umgangssprache. So alar-
mierend dieser Befund ist, so bekannt ist er auch. Weniger bekannt und im Lichte der Auf-
merksamkeit stehen jedoch die regionalen Unterschiede, die wiederum einen Bezug zum
Migrationshintergrund aufweisen. Besonders interessant sind bei den regionalen Unter-
schieden die Ergebnisse für Vorarlberg (und ansatzweise auch in Tirol), wenn man sie in
Relation zu den Ergebnissen betrachtet, was das Verfehlen eines Pflichtschulabschlusses in
Kapitel 1 betrifft. So erweist sich Vorarlberg in der Sekundarstufe I besonders selektiv und in
der Sekundarstufe II dann am wenigsten verlustreich. An dieser Stelle ist es somit ange-
bracht, die Frage zu diskutieren, inwieweit das eine das andere bedingt, hohe Selektivität in
der Sekundarstufe I Folgeprobleme in der Sekundarstufe II vermindert und damit als „effizi-
ente“ Strategie gelten kann. Um die Effizienzthese im Fall der westlichen Bundesländer hin-
terfragen zu können, muss ein kritischer Blick darauf geworfen werden, zu welchem (sozia-
len) Preis dort die niedrigeren Schulversagensraten auf der Sekundarstufe II erkauft werden.
In diesem Zusammenhang ist es angebracht die Aufmerksamkeit auf die in Vorarlberg (und
ansatzweise auch in Tirol) deutlich erhöhten Anteilswerte von Jugendlichen mit nicht-
deutscher Umgangssprache zu lenken, die ohne Pflichtschulabschluss bleiben. 16,9% in
Vorarlberg und 12,1% in Tirol liegen deutlich über dem österreichischen Durchschnitt von
9,6% und sind gleichbedeutend mit einem vierfach (Tirol) bzw. sechsfach (in Vorarlberg)
erhöhten Risiko von MigrantInnen, keinen Pflichtschulabschluss zu erlangen. Dieses Er-
gebnis wiederum steht im Zusammenhang mit dem Ausmaß der Überrepräsentation von
MigrantInnen in Sonderschulen. So sind SchülerInnen mit nicht-deutscher Umgangssprache
in Vorarlberg in Sonderschulen um 73% und in Tirol um 90% überrepräsentiert (Steiner
2012b), während der Wert für Gesamtösterreich bei 52% liegt. Da Sonderschulen in den