Trotz regelmäßigen Arbeitseinsatzes in Deutschland – keine Anwendung des Mindestlohngesetzes ? W. KOZAK
DRdA ? 5/2017 ? Oktober 385
Eingriffsnormen noch nicht endgültig geklärt (vgl
Thorn in Rauscher [Hrsg], EuZPR/EUIPR [2011]
Art 23 Rom I-VO Rz 6). Gerade aber bei der einge-
schränkten Anwendungsmöglichkeit forumsfrem-
der Eingriffsnormen durch inländische Gerichte,
wird aber iS einer effektiven Rechtsdurchsetzung
hinsichtlich des Niveauschutzes durch den harten
Kern der gesicherten Ansprüche der Entsende-RL
davon auszugehen sein, dass diese Regelungen
keinen Anwendungsbereich für Art 9 Abs 3 Rom
I-VO lassen. Der Zweck der Sicherung des fairen
Wettbewerbs und der Schutz vor Lohn- und Sozi-
aldumping wären nicht ausreichend effektiv gege-
ben, wenn es der Wertung der nationalen Gerichte
anheimgestellt wäre, die Umsetzung der Entsende-
RL im Rahmen forumsfremder Eingriffsnormen
anzuwenden oder nicht.
Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass bei
verpflichtender Beachtung des deutschen Mindest-
lohns, bei Unterzahlung der Straftatbestand des
LSD-BG nicht erfüllt ist, da der Geltungsbereich
und Schutzzweck des Gesetzes nur österreichische
Mindestlohnnormen erfasst.
Hätte der OGH vom Vorliegen einer Entsendung
ausgehen müssen, so wäre es jedenfalls bei der
Anwendung ausländischer Eingriffsnormen auf-
grund des Sonderkollisionsrechtes der Entsende-
RL geblieben.
4. Eingriffsnorm: Charakter und Anwendung
Die Problematik, die sich in gegenständlichem Fall
eröffnet, kommt nur dann zustande, wenn das auf
den Arbeitsvertrag anwendbare Recht von jenem
Recht jenes Staates unterscheidet, der die Eingriffs-
norm erlassen hat. Eine Eingriffsnorm kann also
lediglich dann zur Anwendung kommen, wenn
das Vertragsstatut nicht das Recht des Staates der
Eingriffsnorm darstellt. Damit eine Eingriffsnorm
vorliegen kann, muss ihr ein Anwendungswille
unabhängig vom geltenden Vertragsstatut imma-
nent sein und dieses muss im öffentlichen (in der
politischen, sozialen wirtschaftlichen Organisation)
Interesse des erlassendenden Staates begründet
sein (Krebbler in Franzen/Gallner/Oetker [Hrsg],
Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht Art 9
VO 593/2008/EG Rz 5 f).
Forumsfremde Eingriffsnormen, wie im vorliegen-
den Fall, sind vom Gericht nicht zwingend zu
beachten (vgl Art 9 Abs 3 Rom I-VO), sondern
diesen kann unter bestimmten Voraussetzungen
zwingende Wirkung verliehen werden. Neben
dem Faktum, dass diese zum Normenkanon der
Rechtsordnung des faktischen Erfüllungsortes des
Arbeitsvertrages zuzurechnen sein müssen, besteht
eine weitere Anwendungsvoraussetzung darin,
dass der Arbeitsvertrag in diesem Punkt gegen
diese Norm verstoßen muss. Zusätzlich ist neben
einer teleologischen Betrachtung der Norm auch
eine Folgenabschätzung, also eine Ermessensent-
scheidung des Gerichtes über die Anwendung,
zu treffen (vgl Thorn in Rauscher [Hrsg], EuZPR/
EUIPR § 9 Rom I-VO Rz 64 ff). Erstere Vorausset-
zungen des faktischen Erfüllungsortes und der
unrechtmäßigen Unterentlohnung sind erwiesen
(gleicher Rechtsmeinung Niksova, EuZA Punkt V 2
b + c), auf die Ermessensentscheidung des OGH ist
aber näher einzugehen:
4.1. Geschäftsmodellbetrachtung – Einzel-
ereignisbetrachtung
Der OGH zieht in seine Beurteilung der Anwend-
barkeit des deutschen Mindestlohnes auch ein
Zeitdauerargument in Betracht, indem er ua dar-
auf abstellt, dass das Schutzziel der Mindestlohn-
regelung des MiLoG nur längerfristig in Deutsch-
land tätige AN seien. Eine vorübergehende kurze
Tätigkeit, wie diese der AN mit seinen Taxifahrten
und Akquisen von, zu und am Münchner Flugha-
fen tätigte, seien davon nicht umfasst. Das Höchst-
gericht legt den Beurteilungsfokus damit auf die
einzelne Fahrt und den einzelnen AN. Offenkun-
dig ist aber nach der Wiedergabe der Feststellun-
gen, dass diese Fahrten nicht zufällig erfolgen,
sondern Teil des Geschäftsmodells des Unter-
nehmens sind, das sogar einen eigenen Schalter
am Flughafen München unterhält. Solche Inve-
stitionen werden typischerweise nicht getätigt,
wenn die Beförderungsleistung aus einzelnen,
vernachlässigbaren Fahrten besteht. Die Wertung
des OGH beruht darauf, dass der Schutzzweck
der Mindestlohnnorm alleinig in einem AN-Schutz
und Schutz an der Teilnahme des deutschen
Sozialsystems gesehen wird. Dass Geschäftsmo-
delle gerade darauf abzielen, höhere Kosten zu
vermeiden, indem AN so eingesetzt werden, dass
diese nicht am Sozialsystem des Einsatzstaates
teilnehmen und Vorteile von Lohnkosten und
Lohnnebenkosten gerade als Vorteile im interna-
tionalen Wettbewerb eingesetzt werden, finden
in der Argumentation des Höchstgerichtes keine
Beachtung, so dass gerade der überaus gewich-
tigere Schutz der Vermeidung von Wettbewerbs-
verzerrungen bei dieser Entscheidung außer Acht
gelassen wurde (vgl bspw dazu mwN Gagawczuk,
Mindestlohn, DRdA 2016, 407 [409]).
Legt man den Fokus nämlich auf dieses grund-
legende Ziel, welches die Verhinderung von
Lohndumping und Sozialabbau als Folge enthält,
kommt man nicht umhin, das Geschäftsmodell zu
betrachten, wobei mE evident ist, dass die Dienst-
leistung des Transits von Flugpassagieren von und
nach Österreich wohl auf Dauer angelegt ist. Von
diesem Verständnis ausgehend hätte die wertende
Annahme bezüglich der Rechtsfolgen der Anwen-
dung der ausländischen Eingriffsnormen gerade-
zu entgegengesetzt ausfallen müssen.
4.2. Relevanz von Eingriffsnormen für die
Beurteilung
Der OGH argumentiert die Nichtanwendung der
Eingriffsnorm des § 20 MiLoG mit der Erschwe-
rung der unternehmerischen Tätigkeit des AG, die
die Anwendung der verpflichtenden Meldebestim-
mungen desselben Gesetzes mit sich brächten. Die
Validität dieser Argumentation setzt aber voraus,
dass das innerstaatliche Gericht gerade diese Mel-