DRdA-infas n 4/2020 n August306
Pflege von Angehörigen – Aktuelle Judikatur zur Weiter- und Selbstversicherung in der PV n C. KRAMMER/P. A. ZHANG
versicherung nach § 18b ASVG vorliegen. Im Ein-
zelfall muss natürlich immer geprüft werden, ob
der Pflegeaufwand das notwendige Ausmaß er-
reicht, weshalb dies insb bei höheren Pflegestu-
fen relevant ist.
3.2. Weiter- und Selbstversicherung in der PV
nebeneinander zulässig?
3.2.1. Die Entscheidung des VwGH
Mit seinem Erk vom 20.11.2019, Ro 2019/08/0019,
hat der VwGH – recht überraschend – eine zeitli-
che Überschneidung einer Weiterversicherung
nach § 17 ASVG und einer Selbstversicherung nach
§ 18b ASVG als zulässig angesehen.
Eine Selbstversicherung zur Pflege eines behinder-
ten Kindes nach § 18a ASVG war bis zur Novelle
BGBl I 2015/2 für die Zeit einer Pflichtversiche-
rung oder aber auch einer Weiterversicherung
nach § 17 ASVG ausgeschlossen. Die Selbstversi-
cherung nach § 18b ASVG sah einen solchen Aus-
schluss nie vor. Mit der Novelle im Jahr 2015 wur-
den die beiden Varianten der Selbstversicherung
aneinander angeglichen. Ziel war es dabei, neben
der Pflege von Angehörigen die Ausübung einer
Erwerbstätigkeit zuzulassen. Nach Ansicht des
VwGH bezieht sich das auch auf die Ermöglichung
einer gleichzeitigen Weiterversicherung, zumal
diese es der Versicherten ermöglicht, die mit ihrer
früheren Erwerbstätigkeit verbundene pensions-
rechtliche Absicherung weiterzuführen.
Eine zeitliche Überschneidung einer Weiterversi-
cherung nach § 17 ASVG und einer Selbstversiche-
rung nach § 18b ASVG (unter Bildung der Beitrags-
grundlage nach § 76 Abs 5a ASVG, dh bis zur je-
weiligen monatlichen Höchstbeitragsgrundlage)
sei somit zulässig. Andernfalls würde die pflegen-
de Angehörige von der Begünstigung durch Bei-
tragsleistung des Bundes in wohl gleichheitswidri-
ger Weise ausgeschlossen.
3.2.2. Diskussion der Entscheidung
Diese E steht entgegen den bisherigen Lehrmei-
nungen, wonach eine zeitliche Überschneidung
von Selbst- und Weiterversicherung bei Pflege ei-
ner nahen Angehörigen nicht möglich ist (vgl Pfeil
in Mosler/Müller/Pfeil [Hrsg], Der SV-Komm § 18b
ASVG Rz 10 [Stand 1.7.2018, rdb.at]; Petridis, Sozi-
alversicherung und „Pflege“, ASoK 2007, 286), son-
dern – bei Erfüllung aller Voraussetzungen – für
die pflegenden Angehörigen eine „Wahlfreiheit“
besteht (vgl Resch, Neuregelung der sozialrechtli-
chen Absicherung pflegender naher Angehöriger,
iFamZ 2010, 81). Begründet wird dies insb damit,
dass die Weiterversicherung eine „gänzliche“ Be-
anspruchung der Arbeitskraft erfordert und somit
daneben keine „erhebliche“ Beanspruchung der
Arbeitskraft möglich sein kann.
Der VwGH betrachtet dies aber nun mit besonde-
rer Beachtung des Zwecks des § 17 ASVG, nämlich
die Weiterführung der pensionsrechtlichen Absi-
cherung aus einer früheren Erwerbstätigkeit. Er
argumentiert, dass eine pflegende Angehörige
nicht aufgrund einer vorliegenden Weiterversiche-
rung von der begünstigten Selbstversicherung
nach § 18b ASVG ausgeschlossen sein darf. Dass
die Pflegende auch in den Genuss der Begünsti-
gung durch Beitragstragung des Bundes nach § 77
Abs 6 ASVG kommen könnte, ändert seiner Ein-
schätzung nach daran nichts.
Der VwGH eröffnet nun die Möglichkeit für pfle-
gende Angehörige, mehrere freiwillige Versiche-
rungen zu kumulieren. Auf den ersten Blick ist
dies natürlich zu begrüßen, da eine bessere Absi-
cherung von pflegenden Angehörigen jedenfalls
notwendig und in bestimmten Fällen durch ein Ne-
beneinander von Selbst- und Weiterversicherung
zumindest teilweise gewährt ist. Bei genauerer Be-
trachtung erscheint die Auslegung des VwGH aber
zumindest fragwürdig.
Die wesentliche Differenzierung zwischen der be-
günstigten Weiter- und der Selbstversicherung für
pflegende Angehörige ist das Vorliegen von Vor-
versicherungszeiten und das Ausmaß der Bean-
spruchung der Arbeitskraft. Die Weiterversiche-
rung verlangt einerseits Vorversicherungszeiten
und andererseits eine gänzliche Beanspruchung
der Arbeitskraft durch die Pflege. Somit hat sie die
„strengeren“ Voraussetzungen. Dies bedeutet aber,
dass alle Personen, die die Voraussetzung für eine
begünstigte Weiterversicherung nach § 77 Abs 6
ASVG erfüllen, in der Regel auch die Vorausset-
zungen nach § 18b ASVG erfüllen. Eine mögliche
Kumulation kommt daher vorrangig denen zu
Gute, die Vorversicherungszeiten aufweisen. Diese
Personen sind aber in der Regel finanziell eher
besser abgesichert als die Betroffenen, die auch
vor der Pflege einer nahen Angehörigen keine Zei-
ten der Pflichtversicherung aufweisen. Somit wird
die finanzielle Schieflage durch die Besserstellung
dieses sehr eingeschränkten Personenkreises (vor-
liegende Vorversicherungszeiten und gänzliche
Beanspruchung der Arbeitskraft durch die Pflege)
eher verstärkt und es stellt sich daher die Frage, ob
dies zur allgemeinen besseren Absicherung von
pflegenden Angehörigen zielführend ist.
Zusätzlich ist auch fragwürdig, wie diese zeitliche
Überschneidung von begünstigter Weiter- und
Selbstversicherung in der PV mit der Einschrän-
kung zusammenpasst, wonach pro Pflegefall je-
weils nur eine Person begünstigt selbst- oder wei-
terversichert sein kann. Wenn nun beispielsweise
zwei Angehörige eine Pflegebedürftige betreuen,
könnte sich nur einer davon (gleichzeitig) selbst-
und weiterversichern. Es wäre aber nach der bishe-
rigen Interpretation der Rechtslage trotz offenem
Wortlaut (vgl Resch, Neuregelung der sozialrechtli-