13. Der soziale Konflikt
Die freiheitliche Demokratie westlicher Prägung wird auch mit dem System des Pluralismus
identifiziert. Dies bedeutet, dass nicht nur berufliche, sondern auch anderweitige partikuläre
Interessen nachhaltig vertreten werden; dieser Umstand manifestiert sich insb in den Akti-
vitäten der öffentlich-rechtlichen Interessenvertretungen (Kammern) und der privatrechtli-
chen Verbände. Was im Interesse des Gemeinwohls liegt, wird nicht von oben herab
zwangsweise dekretiert, sondern erweist sich in der Regel als Kompromiss antagonistischer
Kräfte. Man könnte etwas überspitzt von einer umfassenden Gruppen(Klassen)auseinander-
setzung sprechen, deren Orientierung allerdings an gemeinsamen Wertvorstellungen erfol-
gen muss. Konsequenz eines solchen Systems ist, dass die Austragung von Interessenkonflik-
ten unausweichlich ist. Wie weit die Rechtsordnung hiebei regelnd eingreift, ist eine Frage
der ordnungspolitischen, wirtschafts- und sozialpolitischen sowie letztlich sicherheitspoliti-
schen Entscheidung.
13.1. (Verfassungs-)Rechtliche Ausgangslage
Tatsache ist, dass der Arbeitskampf1 als wohl wichtigste Form des sozialen Konflikts von
unserer Rechtsordnung weder verfassungsrechtlich noch einfachgesetzlich verbrieft ist, doch
seit dem KoalG 1870 seine rechtliche Duldung erfahren hat. Der Arbeitskampf iS des Ar-
beitsrechts ist ein Phänomen, das in seiner historischen Ausprägung seit mehr als hundert
Jahren von der Rechtsordnung akzeptiert wird. Diese Grundhaltung der Rechtsordnung be-
zeichnet man am besten als „Kampffreiheit“, während man von einem „Kampfrecht“ nur
dann sprechen sollte, wenn dieses kraft positiver Normen (verfassungsrechtlich oder ein-
fachgesetzlich) garantiert wird.
Das Phänomen des Arbeitskampfes ist untrennbar mit der Entwicklung der Versammlungs-
und Vereinsfreiheit bzw der Koalitionsfreiheit verbunden. Sofern man von verfassungs-
rechtlichen Grundlagen des Arbeitskampfes sprechen kann, ist dementsprechend von
Art 12 StGG und Art 11 EMRK auszugehen2.
Beide Regelungen beziehen sich primär auf koalitionsmäßige Korporationen, die im Status
einer juristischen Person in der Lage sind, die Interessen ihrer Mitglieder auf Dauer zu ver-
treten. Folgerichtig kann man Koalitionsrecht und Arbeitskampfrecht nicht ohne weiteres
gleichsetzen3.
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1 Mair, Theoriendiskurse im Arbeitskampfrecht, in FS Binder (2010), 513.
2 Vgl 2.4; zu Art 28 GRC als Grundlage des Arbeitskampfes Kohlbacher, Streikrecht und Europarecht (2014).
3 Rebhahn, Arbeitskampf in einer Druckerei, DRdA 1982, 136 f mwN; vgl aber Wedl, Gewerkschaftliche Ar-
beitskampfmaßnahmen versus Grundfreiheiten des Binnenmarktes – Grundsatzurteile des EuGH, DRdA
2008, 291.
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