13.5.2. Verbotener Arbeitskampf
Fraglich ist, ob in gewissen Bereichen ein Arbeitskampf jedenfalls als unzulässig anzusehen
ist. Es ist dies einmal die mit dem öffentlichen Dienst verbundene Problematik und zum
anderen die Frage nach der Reichweite arbeitsverfassungsrechtlicher Kampfverbote.
13.5.2.1. Kampfverbot im öffentlichen Dienst?
Im Ersten Weltkrieg erging mit dem sog Streikpatent v 25. 7. 1914 (RGBl 155) ein Streik-
verbot für Beamte, das nicht nur die eigentliche Staatsverwaltung, sondern auch die Be-
diensteten von Staatsbetrieben betraf. Öffentliche Beamte, Bedienstete einer Eisenbahn, ei-
nes Schifffahrtsunternehmens oder einer staatlich gestützten Unternehmung mussten im
Falle eines Streiks oder einer passiven Resistenz mit einer Arreststrafe von sechs Wochen
bis zu einem Jahr rechnen (§ 2 Streikpatent). Die Geltung dieser Norm war die längste Zeit
umstritten20. Von den im Gesetz enthaltenen Strafbestimmungen wurde überhaupt nie Ge-
brauch gemacht. Die nach heutiger Auffassung überholte Tendenz dieses Gesetzes zeigt sich
besonders in der Einbeziehung von Staatsbetrieben, bei denen sich viele Bedienstete in ihrer
Tätigkeit und in ihrem Pflichtenkreis von anderen Dienstnehmern kaum unterscheiden.
Unabhängig davon, dass die Wertungen dieser Norm als überholt anzusehen sind, wird
auch davon auszugehen sein, dass die Bestimmungen des Streikpatents von 1914 durch
das erste Bereinigungsgesetz, BGBl I 191/1999, formell aufgehoben wurden.
Jede Generalisierung ist in diesem Sektor sozialpolitisch falsch. Juristisch relevante Ansätze
für Einschränkungen des Streikrechts im öffentlichen Dienst können nicht generell an eine
„öffentliche“ oder „öffentlich-rechtliche“ Qualifikation eines Dienstgebers oder Dienstver-
hältnisses anknüpfen, sondern an die Frage, inwieweit die erhöhte Treuepflicht des Beam-
ten Arbeitsniederlegungen ausschließt bzw inwieweit die Staatstätigkeit (ieS) beeinträch-
tigt werden kann. Soweit die Grenzen sozialer Adäquanz gewahrt bleiben, insb die staats-
tragenden Interessen des Arbeitgebers berücksichtigt werden, ist auch im öffentlichen
Dienst von einer Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen auszugehen21.
13.5.2.2. Kampfverbot und Betriebsverfassung
Im Bereich der Betriebsverfassung wird allgemein eine Friedenspflicht der Betriebspartner
angenommen. Das Gesetz verrechtlicht die Beziehungen zwischen Betriebsinhaber und Be-
triebsrat insofern, als zur Beilegung von Rechtsstreitigkeiten eine rechtsprechende und zur
Beilegung von Regelungsstreitigkeiten eine schlichtende Instanz obligatorisch vorgesehen
ist.
Der Streik als Maßnahme der Selbsthilfe darf also nicht an die Stelle des Rechts- oder
Schlichtungswegs treten. Gleichzeitig eröffnet die österreichische Betriebsverfassung über
Arbeitskampfrecht
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20 Vgl insb Auer, Streik und Strafrecht (1999), 97; Nowakovski, Der Streik öffentlich Bediensteter in strafrechtli-
cher Sicht, DRdA 1967, 75, demzufolge das Streikpatent nur während eines Krieges oder vor einem unmittel-
bar bevorstehenden Krieg anwendbar wäre.
21 Vgl auch Birklbauer, Die Strafbarkeit von arbeitsrechtlichen Konflikten, DRdA 2000, 228.
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