das ArbVG aber ausreichend Spielräume für Verhandlungen und Kompromisse zwischen
Arbeitgeber und Belegschaft, die auf Forderungen der Belegschaftsvertretung aufbauen
und die keinem gesetzlichen Schlichtungsverfahren zugänglich sind. Die Durchsetzung
dieser Forderungen mit den Mitteln des Arbeitskampfes wird man der Belegschaft nicht ver-
wehren können. Ziel der Arbeitskampfmaßnahme könnten demnach durchaus auch be-
triebsverfassungsrechtlich vorgezeichnete Ergebnisse22 sein.
Das betriebsverfassungsrechtliche Kampfverbot hindert zwar Betriebsratsmitglieder nicht,
sich in ihrer Eigenschaft als Arbeitnehmer- oder Gewerkschaftsfunktionäre an Streikaktio-
nen im Allgemeinen zu beteiligen. Unzulässig ist allerdings die Vornahme bzw Organisation
von Kampfmaßnahmen durch Organe der gesetzlichen Betriebsverfassung, insb des Be-
triebsrats, in dieser Eigenschaft23. Die aktive Antizipation des Betriebsrats am Arbeitskampf
ist mit dem abschließenden Katalog der Befugnisse im ArbVG nicht vereinbar. Insb dem
Interventionsrecht des Betriebsrats nach § 90 ArbVG (s 11.4.4.1.2) sind enge Grenzen ge-
steckt, sodass der Arbeitskampf darunter nicht subsumiert werden kann. Ein Verbot von
Arbeitskämpfen durch den Betriebsrat ist vor allem aus § 39 Abs 3 ArbVG abzuleiten, wo-
nach die Belegschaftsorgane nicht in die Führung und den Gang des Betriebes eingreifen
dürfen.
13.5.2.3. Kampfverbot und Berufsverfassung
Für die Dauer des aufrechten Bestandes eines Kollektivvertrags wird von einem berufs-
verfassungsrechtlichen Kampfverbot ausgegangen. Die Durchsetzung von Änderungen tak-
tierter Regelungen mit Hilfe des Arbeitskampfes kann zu Recht als Widerspruch zur Ver-
tragstreue angesehen werden. Vom berufsverfassungsrechtlichen Kampfverbot betroffen
sind sämtliche kollektivvertraglich geregelten Arbeitsbedingungen sowie Problembereiche,
für die eine überbetriebliche Schieds- bzw Schlichtungsstelle vorgesehen ist. Das Verhältnis
zwischen dem geregelten Inhalt eines Kollektivvertrags und der dadurch bedingten Arbeits-
kampfbeschränkung wird als relative Friedenspflicht bezeichnet. Die relative Friedens-
pflicht der Kollektivvertragsparteien wird allgemein als der obligatorischen Funktion des
Kollektivvertrags immanent angesehen. Gegen die „Immanenztheorie“ wendet sich
Strasser24, der davon ausgeht, dass der Friedenspflicht eine stillschweigende Vereinbarung
zu unterstellen ist, die die Vertragspartner durch gegenteiligen Konsens einschränken oder
ganz ausschließen können (Konsenstheorie25).
13.5.2.3.
1050
Arbeitskampfrecht
22 ZB fakultative Betriebsvereinbarungen über Maßnahmen zur menschengerechten Arbeitsgestaltung; vgl hiezu
Reissner in Neumayr/Reissner (Hrsg), Zeller Kommentar2 (2011), § 97 ArbVG Rz 58 ff.
23 OGH 19. 11. 2003, 9 ObA 125/03b, DRdA 2004, 517 mit Bespr v Cerny.
24 Die Rechtsgrundlage der tariflichen Friedenspflicht, DRdA 1965, 401; Cerny, Zur Frage einer betriebsverfas-
sungsrechtlichen Friedenspflicht, DRdA 2004, 517.
25 Ebenso Strasser/Reischauer, Der Arbeitskampf (1972), 75.
13/049
13/050