Sammlung des Gewerkschafts¬
bundes für Holland:
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Arbeitarhanuner Wies
Bibliothek Mit Bildbeilage — Vbb
ZENTRALORGAN DES ÖSTERREICHISCHEN GEWERKSCHAFTSBUNDES
2. MÄRZ 1953 i Nr. 185 PREIS 25 GROSCHEN
Das Volk hat entschieden
Das neue Parlament wird dieser Entscheidung Rechnung tragen müssen
Ausbau der Sozialgesetzgebung, Verlängerung der Wirtschaftsgesetze
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Am 22. Februar hat das österreichische Volk entschieden, welcher
Weg in Zukunft beschritten werden soll. Diese Entscheidung ist
eindeutig; sie ist eine Abkehr von jenen Kräften, welche einen
Angriif auf unsere sozialen Errungenschaften anstreben, und sie ist
ein Bekenntnis zu einer Wirtschaftspolitik, die in erster Linie auf die
Bedürfnisse des arbeitenden Volkes Rücksicht nimmt.
Die Arbeiter und Angestellten
unseres Landes bilden mit ihren
Familienangehörigen die Mehrzahl
der Wählerschaft. Sie sind also
nicht nur die Träger unserer
Volkswirtschaft, sondern auch die
Träger der politischen
W i 11 e n s b i 1 d u n g. Dies frei¬
lich unter der Voraussetzung, daß
sie sich über die Tragweite ihrer
Entscheidung voll und ganz be¬
wußt sind, und daß sie die zu ent¬
scheidenden Fragen mit aller Klar¬
heit sehen. Daß dies gerade bei
dieser Wahl der Fall war, beweist
die Entscheidung, die nunmehr ge¬
troffen wurde.
Vor allem war diese Entschei¬
dung ein
Bekenntnis
zur Demokratie und Freiheit
Die Extreme von links und von
rechts wurden eindeutig abge¬
lehnt. Es war ja naheliegend,
durch eine demokratische Wahl,
deren wichtigste Voraussetzung,
nämlich die Demokratie
selbst, zu sichern. Einpartei¬
systeme, überholte Ideologien und
die Segnungen der „Volksdemo¬
kratie" fanden keinen Anklang.
Die Arbeiter und Angestellten
wissen, daß man aus Unzu¬
friedenheit mit bestehenden Ver¬
hältnissen nicht alles zerstören
darf, da» man nicht die Demo¬
kratie vernichten darf, die uns
allein die Möglichkeit läßt, eine
Besserung zu erkämpfen. Die
politische Reife ist zu hoch, und
die Erfahrungen sind inzwischen
zu groß geworden, um den
Totalitarismus, in welcher Form
auch immer, in unserem Lande
heimisch zu machen.
Das Vertrauen, das die beiden
großen Parteien genießen, fand
in den Wahlergebnissen seinen
sichtbaren Ausdruck. In schwer¬
ster Zeit haben diese beiden Par¬
teien die ganze Last der Verant¬
wortung getragen. Ihr Bemühen
um den Ausgleich natürlicher
Gegensätze hat durch den Wähler
volle Anerkennung gefunden.
Allerdings ist eine gewisse Ver¬
schiebung eingetreten, die zwar
keinen radikalen Richtungswech¬
sel, dennoch aber eine neue
Einstellung zu den Forderun¬
gen der arbeitenden Menschen in
Stadt und Land bewirken muß.
Wirtschaftsdemokratie
Das Parlament, das nun aus
diesen Wahlen hervorgeht, wird
also weitaus mehr als bisher den
Forderungen der österreichischen
Arbeiter und Angestellten, wie sie
der Gewerkschaftsbund wiederholt
zum Ausdruck gebracht hat, Rech¬
nung tragen müssen. Die längst
schon fälligen Sozialgesetze
können nicht mehr auf die lange
Bank geschoben werden. In Über¬
einstimmung mit den wirtschaft¬
lichen Möglichkeiten wird ein
großzügiger Ausbau der sozialen
Errungenschaften erfolgen müssen.
Dies bedingt auch eine Ände¬
rung der Einstellung zu Gesetz¬
gebung und Verwaltung sowie
die Rücksichtnahme des Gesetz¬
gebers auf den Willen der Be¬
völkerung. Schon allein die
hohe Wahlbeteiligung von rund
96 Prozent beweist, daß sich
das österreichische Volk seines
Rechtes auf Demokratie und
Selbstbestimmung voll und ganz
bewußt ist. Daraus ergibt sich
wohl unzweifelhaft, daß man
nun dieses Volk aus der prak¬
tischen Mitwirkung, nämlich aus
der Mitbestimmung in
allen lebenswichtigen Fragen,
nicht mehr länger ausschalten
kann.
Mit anderen Worten: Die poli¬
tische Demokratie, die wir bereits
als selbstverständlich betrachten
und die wir zäh verteidigen, muß
durch eine wirtschaftliche
Demokratie, durch das Mit¬
spracherecht der arbeitenden
Menschen in der Gesamtwirt¬
schaft, seine sinnvolle Ergänzung
finden. Wer anderer Ansicht ist,
hat dieses Wahlergebnis nicht
verstanden.
Die im Laufe des heurigen
beziehungsweise des kommenden
Jahres ablaufenden Wirt¬
schaftsgesetze werden also
im Interesse einer geordneten
Wirtschaft verlängert werden
müssen. So hat ja beispielsweise
das Preisregelungsgesetz, das be¬
kanntlich auch für Mieten gilt,
im Wahlkampf eine besondere
(Fortsetzung auf Seite 3)
Jedes Ding hat
zwei Seiten
Die vielen Kolleginnen und Kol¬
legen, auf die unsere folgenden
Ausführungen nicht zutreffen,
mögen nicht ungehalten sein: auch
durch nur einen Schädlingskeim
kann ein ganzes Glas Marmelade
verderben.
Die Entwicklung seit 1945 zeugt
von der Vernunft und Besonnenheit
des österreichischen Volkes. Der
Gewerkschaftsbund hat durch seine
Tätigkeit wesentlich zur Festigung
der Demokratie beigetragen. Aber
es gibt in unseren Reihen noch im¬
mer Kolleginnen und Kollegen, die
schnell fertig mit ihrem Urteil sind.
Mag es sich um den Betriebsrat,
die Gewerkschaft oder die Sozial¬
versicherung handeln — es muß
vorerst geraunzt und genörgelt
werden. Von belanglosen Äußerun¬
gen bis zu Interventionen und wich¬
tigen Verhandlungen wird alles,
was ein Betriebs- oder Gewerk¬
schaftsfunktionär tut, von manchen
Kollegen ohne Kenntnis der Sach¬
lage über einen Leisten abgeurteilt.
Es ist eine Untugend der Men¬
schen, auf vieles, was man hört und
sieht, subjektiv, parteiisch zu rea¬
gieren und nicht zu versuchen, den
Dingen auf den Grund zu kommen.
Wenn man aber nicht die Ursache
kennt, wenn man die Argumente
der Gegenseite überhört, dann er¬
gibt sich nur ein Zerrbild der Wirk¬
lichkeit.
Wie oft passiert es doch im All¬
tag: Die Frau Mayer erzählt uns
über die Frau Huber und wir sind
empört über diese Person. Dann
treffen wir die Frau Fischer und die
erzählt uns über die Frau Mayer
und die Frau Huber. Unsere Mei¬
nung kommt ins Wanken und
wenn wir vollends die Frau Huber
hören, wissen wir überhaupt nicht
mehr, was wahr und unwahr ist,
aber wir kommen zu der Ansicht,
daß die Wahrheit so ziemlich in
der Mitte liegen wird.
In Betriebs- oder Gewerkschafts¬
angelegenheiten hörst Du, lieber
Kollege, oft nur die Stimmen der
Nörgler, aber keine Gegenäuße¬
rung. Der Betriebsrat ist zu lax, die
Gewerkschaft zu wenig energisch,
es wird geraunzt und geschimpft,
aber man nimmt sich nicht die
Mühe, die Tatsachen zu überprü¬
fen. Und auch wenn dies geschieht,
läßt man sich nicht gerne von einer
vorgefaßten Meinung abbringen.
Wir sind nicht der sehr weit ver¬
breiteten Ansicht, daß Raunzen
und Nörgeln eine typische Charak¬
tereigenschaft des Österreichers sei.