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Wien, 1., EbendoriusM. 1
Seile 4:
Mit Bildbeilage—Vbb
Gemüse atif dem
Düngerhaufen
ZENTRALORGAN DES ÖSTERREICHISCHEN GEWERKSCHAFTSBUNDES
6. JULI 1953 f NR. 194 PREIS 25 GROSCHEN
Wirtuhaftigesetze im Nationalrat
Tn den vergangenen Wochen beschäftigte sich der Nationalrat mit einer
Anzahl von Wirtschaftsgesetzen, insgesamt nenn, die in drei
größere Gruppen zusammengefaRt werden können: In landwirtschaftliche
Gesetze, in zwei Gesetze zur Verbesserung der Arbeitsmarktsituation und in
zwei Gesetze zur Ordnung wichtiger Teile unserer Volkswirtschaft, des
Außenhandels und des Wohnungswesens.
Fondsgesetze
Unter den landwirtschaftlichen Ge¬
setzen standen zum erstenmal seit
ihrer Beschlußfassung im Jahre 1950
die sogenannten Fondsgesetze
zur Diskussion, und zwar das
Milchwirtschaftsgesetz,
das Getreidewirtschafts¬
gesetz und das V i e h v e r-
kehrsgesetz. Die Landwirtschaft
hatte die Verhandlungen mit einer
Fülle von Forderungen begonnen,
deren wichtigste die Abschaffung
de:, Abstimmungsvorganges in der
Verwaitungskommission der drei
Fonds war.
Falls die Bestrebungen der Land¬
wirtschaft, dafi Beschlüsse mit ein¬
facher Mehrheit zu fassen sind,
ihr Ziel erreicht hätten, wäre es
ihr im Verein mit den Vertretern
des Handels gelungen, in vielen
entscheidenden Fällen die Vertre¬
ter der Konsumenten niederzu¬
stimmen. In den Verhandlungen
mußte die Landwirtschaft jedoch
ihre mit Nachdruck vertretene For¬
derung fallen lassen.
Eine Abänderung des Milch¬
wirtschaftsgesetzes,
die die Landwirtschaft gefordert
hatte, und zwar die Einbeziehung
• ' : ö und Speisefett, mußte sie
ebenfalls fallen lassen. Schließlich
•'.."de das Milchwirtschaftsgesetz,
ebenso wie die zwei anderen Fonds¬
gesetze, nur um ein Jahr verlängert,
während die Forderung der Landwirt¬
schaft eine Verlängerung um drei
Jahre war.
Das Getreidewirtschafts¬
gesetz wurde praktisch unver¬
ändert verlängert, allerdings auch
nur mehr um ein Jahr. Die einzige
bemerkenswerte Änderung betraf
den Vorgang bei der Ausschreibung
von Getreideimporten.
Wichtig ist, daß der Versuch der
Landwirtschaft abgewehrt wurde,
sowohl beim Getreidewirtschafls-
gesetz als auch beim Viehverkehrs¬
gesetz dem Fonds die Kontrolle
über die Einfuhr zu überlassen,
jedoch die Ausfuhr freizugeben.
Dies hätte vor allein beim Vieh¬
verkehrsgesetz im Falle einer
Mangellage, die in Zukunft wieder
eintreten kann, die Gefahr herauf-
heschworen, daß die Beschickung
der Inlandsmärkte zugunsten der
Auslandsmärkte vernachlässigt
worden wäre.
Be: der Novellierung des V i e h-
verkehrsgesetzes wurde eine
wesentliche Forderung der Land¬
wirtschaft bewilligt, und zwar kann
in Zukunft das Landwirtschaftsmini¬
sterium im Einvernehmen mit dem
Innenministerium und dem Handels¬
ministerium Marktschutzmaßnahmen
zugunsten der Landwirtschaft treffen.
Das Landwirtschaftsministerium soll
das Recht haben, mit Hilfe des
Fonds auf den geschützten Märkten
Interventionskäufe von Vieh durch¬
zuführen und Preislimite festzu-
sefzen, innerhalb derer diese Marki-
enllasUmgen erfolgen können.
Neben Fondsgesetzen wurde ein
Rindermastförderungs¬
gesetz beschlossen, das zucker¬
rübenanbauende Betriebe und Bren¬
nereien verpflichtet, im Herbst, zur
Zeit der .„Rinderschwemme" in den
Alpeniandern, Rinder zur Mästung
einzustellen. Das Rindermastförde-
nmgsgeseiz stellt eine Begünstigung
der rinderproduzierenden Berg¬
bauernbetriebe und in einigem Ab¬
stand eine Förderung der Rind¬
fleischanlieferung auf die Märkte
lind eine Belastung der zucker¬
rübenanbauenden Betriebe und der
landwirtschaftlichen Brennereien dar.
Ferner wurde das Gesetz über
die Schweinehaltung abge¬
ändert, das das Ziel hat. den
Schweinezyklus, also abwechselndes
Überangebot und Unterangebot von
Schweinen, zu bremsen.
Verbesserung der Arbeitsmarktlage
Neben den landwirtschaftlichen
Gesetzen beschloß das Parlament
zwei Gesetze, die von beschäfti¬
gungspolitischer Bedeutung sind. Das
Exportförderungsgesetz
und das Elektrizitätsförde¬
rungsgesetz.
Nach Durchführung der Schilling¬
kursänderung stellte sich heraus, daß
zahlreiche Fertigfabrikate erzeugende
Betriebe, die bisher ihre Rohstoffe
zum Grundkurs von S 21.36 bezogen
haben und ihre Fertigfetbrikate im
Kopplungssystem zu einem Kurs
von 28 und mehr Schillingen für den
Dollar abgewickelt hatten, nunmehr
in einer höchst ungünstigen Situa¬
tion waren, da sie für ihre Rohstoffe
mehr bezahlen mußten, für ihre
Fertigfabrikate aber weniger erhielten.
Außerdem haben mehrere europäi¬
sche Staaten, vor allem Frankreich,
begonnen, durch Steuerrückvergü¬
tungen ihren Export zu fördern.
Schon bisher hatte der öster¬
reichische Exporteur Umsatzsteuer-
rückvergülungen für seine Exporte
erhalten, und zwar verschieden
hohe Prozentsätze je nachdem, ob
es sich um Rohstoffe, Halberzeug¬
nisse oder Fertigwaren handelte.
Nunmehr wird eine vierte Gruppe
von Waren iestgelegt, und zwar
handelt es sich um Fertigwaren,
deren Export besonders förderungs-
würdig ist und für die die Umsatz¬
steuerrückvergütung einschließlich
aller Zuschläge 10,2 Prozent des
Fakturenwertes betragen wird.
Ferner wurde im Exportförderungs¬
gesetz eine Erleichterung für Inve¬
stitionen in allen Betrieben vorge¬
sehen, die angesichts der außer¬
ordentlich schwierigen Situation der
Staatsfinanzen nur mit größten Be-
(Fortsetzung auf Seite 3)
Fanal Berlin
In der zweltenJunihölfte erhoben
sich die Arbeiter Ost-Berlins und
verschiedener ostdeutscher Indu¬
striezentren. Es begann am 16. Juni
mit einem Protestmarsch der Ost-
Berliner Bauarbeiter gegen eine
der üblichen Normenerhöhungen.
Hungrig und geschunden rotteten
sie sich zusammen und marschier¬
ten vor die Regierungsgebäude.
Die überraschten Machthaber trau¬
ten ihren Augen nicht mehr. Was
sie — vertrauend auf „Volkspolizei"
und Besatzungsmacht — niemals
für möglich gehalten hätten, war
plötzlich Wirklichkeit geworden.
Und das kurz nachdem sie in
heuchlerischer Selbstkritik „Fehler"
eingestanden und gurzumachen
versprochen hatten.
Aber es war zu spät! Mit den
lächerlichen Zugeständnissen und
mit den Beteuerungen, auch die
Normenerhöhung wieder rückgän¬
gig zu machen, konnte die Lawine
der Empörung nicht mehr aufge¬
halten werden. Im Gegenteil: Sie
wuchs in den folgenden Tagen zu
drohender Größe an und riß auch
in anderen Teilen Ostdeutschlands,
vor allem in Leipz:g, Magdeburg,
Halle, Gera, Stralsund, Saalfeld
und Görlitz die verzweifelten Ar¬
beitermassen mit sich.
Das Fanal des Freiheitskamp¬
fes war an der Glut der Em¬
pörung entfacht. Nach zwanzig
Jahren der Unterdrückung
drängte ein schwergeprüftes
Volk zur Freiheit. Aber es war
ein ungleicher Kampf, es war ein
bitterer Verzweiflungskampf, bei
dem es keine Frage war, wer
schließlich der „Sieger" werden
sollte. Diktaturen machen in
solchen Fällen kurzen Prozeß,
erst recht eine Diktatur, die sich
auf eine waffenstarrende Be¬
satzungsmacht zu stützen weiß.
Es dauerte nicht lange, da fuh¬
ren durch die Straßen Ost-Berlins
russische Panzerwagen und richte¬
ten ihre drohenden Geschütze
gegen die aufgebrachte Volks¬
menge. Ein solcher Panzerwagen
rollte über den Kopf eines Arbeiters
hinweg und zerquetschte mit dem
Gehirn auch den Gedanken an
Freiheit und Menschenglück.
Mit Holzlatten, Pflastersteinen, ja
auch mit bloßen Fäusten setzten
sich die Verzweifelten zur Wehr.
Manche von ihnen starben unter
den Feuergarben aus Gewehren
und Maschinengewehren, andere
wurden zu Krüppeln geschossen.
Gummiarbeiter streiken iür gerechte Akkorillohnberechnung. Streik ist das
letzte und schärfste gewerkschaftliche Kampfmittel. Ist ein Streik unvermeid¬
lich, so wird er von der Gewerkschaft geführt. Im Bilde: Streikende im
Semperil-Werk Traiskirchen.