Beide Bönde des Werkes zu¬
sammen geben ein nahezu lücken¬
loses Bild des Entstehens und Wach¬
sens der österreichischen Gewerk¬
schaftsbewegung und zeigen auch
die wirtschaftliche und politische
Entwicklung der letzten hundert
Jahre. Wirtschaftliches und sozia¬
les Geschehen wird vom Stand¬
punkt des arbeitenden Menschen
aus betrachtet. Einige Kapitel ent¬
halten viel unbekanntes Quellen-
material und zeigen uns manche
Ereignisse in anderem Lichte als
bisher.
Wie sehr mit dem Aufstieg der
österreichischen Gewerkschaften
persönliche Schicksale verwoben
sind, kommt uns bei der Lektüre
des anderen angeführten Buches,
der Lebenserinnerungen Johann
Böhms, deutlich zum Bewußtsein.
Sein eigener Aufstieg veranschau¬
licht gleichzeitig den sozialen Auf¬
stieg der arbeitenden Menschen
seiner Zeit. Diese Lebensgeschichte
ist also ein Stück Geschichte der
österreichischen Arbeiterbewegung.
Die Bitternisse der Lehrjahre und
die völlige Rechtlosigkeit der Ar¬
beiter zeigten Johann Böhm, daß
nur eine organisierte Arbeiter¬
schaft den Kampf gegen die un¬
würdigen Verhältnisse aufnehmen
könne. In frühester Jugend stellte
er sich in den Dienst der gewerk¬
schaftlichen Organisation, wurde
Vertrauensmann und Funktionär.
Am Beispiel seines Lebens zeigt
er der heutigen Generation, daß
die sozialen Errungenschaften, die
nur allzuoft als Selbstverständlich¬
keit hingenommen werden, schwer
erkämpft werden mußten. Aber
nicht seine Verdienste stehen im
Vordergrund der Betrachtungen,
sondern der Kampf um die Besser¬
stellung des arbeitenden Men¬
schen, um den sozialen Fortschritt,
der Ziel und Inhalt seines Lebens
war.
Die Lebenserinnerungen Böhms
schließen mit dem erfolgreichen
Aufbau des österreichischen Ge¬
werkschaftsbundes und mit einem
Mahnwort an die Jugend.
Beide Bücher sollte jeder inter¬
essierte Gewerkschafter kennen,
denn aus dem Bewußtsein des Er¬
folges früherer Kämpfe schöpfen
wir die Kraft für die Auseinander¬
setzungen von heute und morgen,
die ebenso von Erfolg gekrönt sein
mögen!
Besatzungssteuer—ja oder nein?
Die in der Nummer 200 der „Solidarilät 1 veröffentlichten zwei Leseriniefe, von
denen der eine für, der andere gegen die Besatzungssteuer Stellung nahm, haben eine
Reihe von Zuschriften zur Folge gehabt. Wieder sind die Meinungen grundverschieden,
obwohl die Briefe, die für die Weiterbehaltung der Besatzungssteuer eintreten, die
anderen Meinungen bereits überwiegen. Es gibt auf beiden Seiten beachtliche Argu¬
mente, doch konnten wir feststellen, daß die Gegner der Besatzungsstener ihre
Ablehnung mehr gefühlsmäßig begründen, während die Verfechter der Steuer mit
weitaus sachlicheren Argumenten operieren Wir greifen aus den vielen Briefen, die
wir gekürzt wiedergeben, wahllos einige heraus.
Kollege Ing. Josef H. aus St. Pölten
wendet sich ganz entschieden gegen die
Besatzungssteuer. Er schreibt:
Hit aller Leidenschaft dagegen
Nein! Mit aller Leidenschaft wehren
sich die Männer in unseren Werkstätten
gegen die Zumutung, die Besatzungs¬
steuer, diesen jahrelangen Beutezug zur
Befriedigung fremder Soldaten, weiter zu
bezahlen. Wer ist eigentlich der Anreger
dieser absurden Idee, die Besatzungs¬
steuer zu verewigen? Man hätte erwarten
sollen, daß sich ausnahmslos alle über
den endlichen Verzicht der alliierten
Mächte auf die Bezahlung der Besalzungs-
kosten freuen und daß das bezügliche
Gesetz schleunigst außer Kraft gesetzt
wird. Schon vor mehreren Jahren, als die
Amerikaner auf ihren Anteil verzichteten,
wäre eine Reduzierung der Steuer fällig
gewesen. Wo bleiben die politischen Par¬
teien bei der Abwehr dieser Umstellung
der Besatzungssteuer auf eine Wohnbau¬
steuer?
Unbegreiflich ist es, daß ein Kollege
für die Umtaufe und Fortsetzung der Be¬
satzungssteuer plädiert. Zahlen , wir nicht
ohnedies Woche für Woche für den Auf-
baufonds?
Nein, die Werktätigen wollen von der
in Rede stehenden Steuerumgruppierung
nichts wissen.
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Eigentümer und Herausgeber: österreichischer
Gewerkschaftsbund. Verleger: Verlag des
österreichischen Gewerkschaftsbundes. Chef¬
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Hohrnstaufengafese’ 10—12. Druck: Waldheim-
Eberle, Wien, VII., Seidengasse 3—11.
Frau M. B., Wien, XXL, ist ebenfalls
gegen die Besatzungssteuer. Sie schreibt:
Auf zwei Seiten Besatzungssteuer
Herr Albert K. aus Klagenfurt ist dafür,
daß die Besatzungssteuer weiterbezahlt
und für Wohnungsbaulen verwendet wird.
Er soll bezahlen, wenn es ihm leid tut
um die Besatzungssteuer. Wir zahlen
ohnehin genug Wohnbausteuer; auch
schon in der Nazizeit, und damals wurde
nichts gebaut. Ich bin Witwe und muß
auf zwei Seiten Besatzungssteuer zahlen,
erstens für mein kleines Einkommen von
350 Schilling*) und dann für mein Miet¬
zinshaus, das mir nichts abwirft, ebenfalls
120 Schilling im Jahr. Ist das am Platz?
Wenn es zu einer Volksabstimmung
käme, wären bestimmt die meisten gegen
die Besatzungssteuer.
Wir sollten froh sein, daß diese Steuer
endlich abkommt, denn was einmal ein¬
geführt ist, wird ohnehin leider nicht so
schnell abgeschafft.
Der Lohnbuchhalter Ludwig R. aus J-inz
ist anderer Meinung. Er schreibt:
Ute Besitzenden bezahlen vle< mehr
Die aufgeworfene Frage: ,.Besatzungs¬
steuer — ja oder nein?" interessiert mich
als Angestellten natürlich sehr. Ohne eine
Stellung zu nehmen, möchte ich als Lohn¬
buchhalter folgende Tatsachen feststellen:
Von den 20 Prozent der Lohnsteuer —
das ist die Höhe der Besatzungssteuer —
weiden seit 1- Jänner 1951 bereits 10 Pro¬
zent dem Wohnhauswiederaufbaufonds zu¬
geführt. Es bleiben also praktrsch 10 Pro¬
zent Besatzungssteuer, über deren Bei¬
behaltung nun so heftige Debatten ge¬
führt. werden.
Die Besatzungssteuer erhöht sich bei
größeren Einkommen sprunghaft, so daß
die Besitzenden und Großverdiener bei
dieser Steuer mehr herangezogen werden,
als der kleine Mann.
Ich habe zwei Kinder und beziehe mo¬
natlich 1500 Schilling brutto. Davon be¬
zahle ich 11 Schilling Besatzungssteuer.
Bei einem Einkommen von 2500 Schilling
beträgt sie aber schon S 46,70 und bei
5000 Schilling — S 232,60. Bei den Ge¬
werbetreibenden verhält es sich ungefähr
ebenso. Die Vermögenden werden durch
die Besatzungssteuer besonders hart ge¬
troffen; deshalb auch von dieser Seite die
große Entrüstung. Sie müssen nämlich
außer den 20 Prozent von der Ein¬
kommensteuer auch noch l1/? Prozent von
ihrem Gesamtvermögen als Besatzungs¬
steuer bezahlen. Die Besatzungssteuer für
ein Vermögen ist also dreimal höher als
die Vermögenssteuer.
Bei den nun folgenden Entscheidungen
über die Beibehaltung der Besatzungs¬
steuer müßten alle diese Tatsachen auch
in die Berechnung gezogen werden.
Der Metallarbeiter Franz L. aus Wiener
Neustadt mahnt vor voreiligen Entschei¬
dungen. Sein Brief lautet:
Hehr Wohnungen bauen!
Die Ansicht des Kollegen Albert K. aus
Klagenfurt über die Besatzungssteuer hat
viel für sich. Freilich tut unsereinem —
ich verdiene als Metallarbeiter wöchent¬
lich 280 Schilling netto — jeder Groschen
weh, der abgezogen wird. Aber die Be¬
satzungssteuer von S 1,75 in der Woche
bringt mich auch nicht mehr um.
Mir wäre lieber, man würde um däs
Geld Wohnungen bauen. Meine Tochter
ist seit zwei Jahren verheiratet und
wohnt mit ihrem Mann und einem Kind
noch immer bei mir. Vielleicht können
das Leute mit eigenen Wohnungen gar
nicht verstehen, aber ich bezahle meinet¬
wegen noch einmal sdYiel Be^-atzungs-
steuer, um nur wieder eine Wohnung für
mich allein zu besitzen.
Wenn keine Besatzungskosten mehr zu
bezahlen sind, so soll man um das er¬
sparte Geld Häuser bauen, damit die
Arbeitslosen weniger werden und die
jungen Leute Wohnungen bekommen. Die
Arbeiter und Angestellten sollen das be¬
denken, bevor sie sagen, die Besatzungs¬
steuer muß auf alle Fälle weg.
Auch Kollege Kurt Z- aus Unter-Walters¬
dorf spricht sich für die Weiterbehaltung
der Besatzungssteuer aus. Er schreibt
unter anderem:
Langfristige Baukredite
Ich würde halt Vorschlägen, daß man
das Geld, das als Besatzungssteuer einge¬
hoben wird, so verteilt, daß man Klein¬
kredite an Arbeiter, Kleinbauern und
Kleinhandwerker ohne oder mit nur klei¬
ner Zinsbelastung für Wohn- und Sied-
iungsbauten ausgibt: Die Höhe würde ich
mir mit 20.000 bis 30.000 Schilling auf
20 Jahre vorstellen.
*) Hier ist der Briefschreiberin ein Irrtum
unterlaufen. Besatzungssteuer wird erst bei
einem Mindesteinkommen von monatlich
S 70b',— eingehoben. — Die Redaktion.
Damit würde man bestimmt vielen Kol¬
legen und anderen finanziell schwach
gestellten Schichten unseres Volkes den
Bau von Eigenheimen ermöglichen. Wei¬
ters würde das ausgegebene Geld wieder
zu ückfließen, und somit könnte nach un¬
gefähr 8 bis 10 Jahren die Steuer ganz
aufgehoben werden, und trotzdem wü den
große Geldmittel zur Weiterverleihung zur
Verfügung stehen, denn das zurück-
fließende Geld kann sofort wieder aus¬
gegeben werden. Oder man könnte auch
die Gelder nach 8 oder 10 Jahren dann,
einem Ehestandsdarlehenfonds zuführen
und damit jungen Kollegen den Sprung
in die Ehe erleichtern.
Abgeschrieben!
Es ist allgemein bekannt, daß sich
der österreichische Gewerkschafts¬
bund im Einvernehmen mit dem in¬
ternationalen Bund Freier Gewerk¬
schaften für eine Steigerung der
Produktivität einsetzt, sofern
sie 1. keine höhere physische An¬
strengung für den Arbeiter bedeutet,
2. die Arbeitsplätze erhalten bleiben
und 3. die Werktätigen in Form
höherer Reallöhne einen Anteil am
Erfolg haben. Ebenso bekannt ist aber
auch, daß die Kommunistische Partei
gegen unser Eintreten für Produktivi¬
tätssteigerung erbittert Sturm gelau¬
fen ist.
Inzwischen hat es aber offenbar in
dieser Beziehung auch in den Reihen
der kommunistischen Spitzenfunktio¬
näre etwas gedämmert, und so haben
sie, um sich nicht zu sehr anzustren¬
gen, unsere Grundsätze einiach —
abgeschrieben! Der Präsident
des kommunistischen Weltgewerk¬
schaftsbundes hat nämlich gegenüber
dem Internationalen Arbeitsamt eine
grundsätzliche Erklärung zur Frage
der Produktivitätssteigerung abge¬
geben.
„Ohne Zweifel", so heißt es in die¬
ser Erklärung, „ist die Steigerung der
Arbeitsproduktivität eine wesentliche
Quelle des ökonomischen Fortschritts.
Sie könnte unter besiimmten Bedin¬
gungen auch eine Quelle des
sozialen Fortschritts in
den kapitalistischen Län¬
dern sein." Als Bedingungen wer¬
den die gleichen angeführt, die auch
der IBFG und der österreichische
GewerkscharfsDuncI scnoi^eitJangeni
vertreten haben.
Kein Echo für falsche Töne
In Wien wurde kürzlich, unter dem
Protektorat einer Besatzungsmacht,
ein Kongreß des kommunistischen
„Weltgewerkschaftsbundes" abgehal¬
ten. Am 14. Oktober beklagte sich
die „österreichische Volksstimme" in
einem Leitartikel darüber, daß dieser
Kongreß von der österreichischen
Öffentlichkeit völlig ignoriert wurde.
Wir verstehen diesen Schmerz: Die
Delegierten sind es in den Volks¬
demokratien gewohnt, daß solche
Kongresse mit großem Gepränge
durchgeiührt werden, um mit pompö¬
sen Äußerlichkeiten die innere Hohl¬
heit und Falschheit zu übertünchen.
Aber bei uns ist es eben anders, und
so konnte der „Weltgewerkschafts-
kongreß“ nur jenes Interesse finden,
das seiner Bedeutung zukoramt.
Um den Veranstaltern und der
„Volksstimme" ähnliche Enttäuschun¬
gen in Zukunft zu ersparen, geben
wir den Rat, derart ge Kongresse statt
in Wien in Prag, Budapest, Warschau
usw. abzuhalten.
Die Aufgaben der Gewerkschaften
— anderswo
In zahlreichen Betrieben hat sich
die Arbeitsdisziplin seit der kürzlich
erfolgten Abschaffung der Geldstrafen
wesentlich verschlechtert. Der sozia¬
listische Arbeitswettbewerb ist zu¬
rückgefallen und der Feind ver¬
sucht Unordnung und Störung zu
verursachen. Die Aufgabe der Ge¬
werkschaften ist, mit harten Schlägen
jeden Versuch des Feindes zurückzu¬
schlagen. Die erste Auigabe der Hun¬
derttausend von Aktivisten ist, ent¬
schlossen für die Straffung der Ar¬
beitsdisziplin einzulreten.
„Nepszawa", Budapest,
vom 29. Juli 1953
Seit» 2 Nr. 202 SOLIDARITÄT