Der neue UltrakurzweHensender auf
der Stephaniewarte auf dem Kahlen¬
berg. Die Mastspitze ragt 35 Meter
über den 483 Meter hohen Berggipfel
hinaus.
Zu den zahllosen möglichen und
unmöglichen Abkürzungen, die oft
die einfachsten Voraussetzungen der
Phonetik und des Sprachempfindens
ignorieren, man denke nur an GAK,
WIBRO, USIA usw., ist ein neues
Buchstabengetjilde gekommen, das in
Österreich sofort populär geworden
ist, UKW — keine neue Zauberfor¬
mel, sondern die Abkürzung für
Ultrakurzwellen, jene elektromagneti¬
schen Wellen, die in unserer Radio¬
industrie, in unseren Sendern und
wahrscheinlich über kurz oder lang
auch in unseren Brieftaschen, eine
kleine Revolution hervorrufen wer¬
den.
Die Ultrakurzwellen, die auch in
der Fernsehtechnik angewendet wer¬
den, ermöglichen durch ihre hohe
Schwingungszahl eine Tonwieder¬
gabe, die praktisch alle Töne umfaßt,
die vom menschlichen Ohr wahr-
genommen werden können. Der
UKW-Empfang klingt daher viel na¬
türlicher und plastischer 'als eine
Radiowiedergabe. Ja, man hört so¬
gar d.e Obertöne eines Klaviers, die
man selbst im Konzertsaal nicht
wahrnehmen kann.
Gegenüber den Mittelwellen, deren
Störungen einem manchmal ganze
Sendungen verleiden, sind die Ultra¬
kurzwellen „die reinsten Glöckerln",
versichert uns ein glücklicher Be¬
sitzer eines UKW-Empfängers. Er
kann sogar seinen elektrischen Rasier¬
apparat laufen lassen, ohne daß der
Empfang auch nur im mindesten be¬
einträchtigt würde.
UKW ohne Zensur
In allen Kulturstaaten der Welt ist
das Fernsehen längst zu einem selbst¬
verständlichen Begriff geworden. In
Österreich bedeutet es leider noch im¬
mer eine „ernste Gefahr" für die vier
Großmächte. Der Ultrakurzwellenfunk
hat nun in -den Augen der Besatzung.
Gnade gefunden. Sogar gegen den
UKW-Funkdienst der Wiener Feuer¬
wehr, der eine dauernde Verständi¬
gung zwischen den Kommandostellen
und den ausgerückten Fahrzeugen er-
möglicht, und gegen die Amateur¬
funker besteht keim alliierter Ein¬
wand mehr.
Der Beginn der UKW-Sendungen
ist also nicht nur eine technische
Großtat, sondern hat auch eine poli¬
tische, unserem Freiheitsdrang ent¬
gegenkommende Bedeutung. Die in
Österreich vorgesehenen 28 Ultra-
kurzweliensehder .werden unter zen¬
traler Leitung stehen und uns täglich
mit „Radio Österreich" begrüßen. Da¬
mit soll zum Ausdruck gebracht wer¬
den, daß die Alliierten auf sie keinen
Einfluß mehr ausüben. Nichtbesitzer
oder Besitzer eines UKW-Empfängers
— über diesen endlichen Entschluß,
die lästige Radiozensur wenigstens
bei UKW-Sendungen aufzuheben,
können wir uns alle nur freuen.
Brauchen wir neue Geräte?
Zu Beginn der Herbstmesse 1953,
als der erste Kurzwellensender auf
dem Kahlenberg in Wien den Betrieb
aufnahm, brachte die heimische
Radioindustrie die ersten UKW-
Empfänger auf den Markt, sehr zum
Leidwesen jener Radiokäufer, die
einige Wochen oder Tage vorher
noch einen gleich teuren „Vollsuper,
Marke 1954" gekauft hatten. Können
nun diese „alten", bestimmt noch
. viele Jahre haltbaren Geräte auf
UKW „umgebaut" werden? Leider
nein!
Wohl wird es möglich sein, durch
zwischengeschaltete Zusatzgeräte die
UKW-Sendungen auch auf Mittel¬
welle zu hören. Auf die Feinheiten
und Tonqualitäten — das Um und
Auf der ganzen Kurzwellenfunkerei
•— werden die „gewöhnlichen" Radio¬
hörer aber verzichten müssen. Außer
sie riskieren einen tiefen UKW-Griff
in die Brieftasche — bis zum nächsten
Fernsehgerät. . Der Radiohandel hat
in Zukunft jedenfalls bei uns noch
einige Pfeile im Köcher.
Es besteht aber gar keine Ursache,
unsere in Ehren „überholten" Radio¬
apparate Hals über Kopf auszutau¬
schen, denn in den nächsten Jahren
wird sich der UKW-Funk ausschlie߬
lich auf musikalische und sprech¬
künstlerische Sendungen beschränken.
Einer der größten Wiener Radiohänd¬
ler hat uns erklärt, daß trotz der
UKW-Geräte immer noch mehr ein¬
fache Radioapparate gekauft werden.
Mit dem neuen Ultrakurzwellen-
empfänger können natürlich auch alle
Sendungen auf Mittel-, . Kurz- und
Langwellen gehört werden. Die Sen¬
dezeiten sind: Wien, 11 bis 13 Uhr
und 14 bis 22 Uhr, Linz, Salzburg,
Klagenfurt, 14 bis 22 Uhr. '
UKW-Nelz über Österreich
Der Wellenplan von Stockholm hat
den Österreichern 28 Wellen ein-
hauptstadt das Programm ganz ein¬
fach von dem Sender der anderen
übernimmt. Auch müssen in den ent¬
fernten, engen Alpentälern Relais¬
stationen eingerichtet werden, um
überhaupt einen Empfang zu ermög1
lidren. Wenn also einmal alle
28. UKW-Sender, bei uns in Betrieb
sind, wird Österreich, von einem dich¬
ten Wellennetz- überzogen sein.
Trotz der tatkräftigen Unterstützung
durch das Bündesministerium für
Verkehr, des Finanzministers und der
Generaldirektion der Post- und Tele¬
graphenverwaltung, die einen kon¬
sequenten Ausbau des neuen Sender-
netzes ermöglicht, wird es noch eine
geraume Zeit dauern, bis die Radio-
Ullrakurzwellenempfänger werden montiert. Sie bieten für die Radioindustrie
einen gangbaren Exportartikel. In Österreich werden aber zum Großteil noch
die „gewöhnlichen" Radioapparate gekauft, denn die Preise für den UKW-
Empfänger sind noch zu „ultra".
geräumt. Diese große Anzahl ist des- hörer der westlichen Bundesländer
halb notwendig, weil ein UKW-Sen- mit UKW bedient werden können. Bis
der nur ein Strahlungsbereich von
ungefähr 100 Kilometer hat. Diese
verhältnismäßig kurze Reichweite
läßt es nicht zu, daß eine Bundes¬
jahresende — nach Aufnahme der
allerdings noch provisorischen Sende-
anlagen in Graz, Innsbruck und Bre¬
genz -— wird ungefähr die Hälfte der
österreichischen Bevölkerung mit die¬
sen drei Meter Tangen Wunderwel-
len versorgt sein.
Derzeit wird ein Ultrakurzwellen¬
programm nur von Wien, Linz, Kla¬
genfurt und Salzburg gesendet.
*
Der Rundfunk ist in Österreich erst
28 Jahre alt. Wir erinnern uns noch
an das geduldvolle Suchen im Detek¬
tor und an den unruhigen Schlaf mit
den vergessenen Hörern am Kopf.
Heute gibt es in Österreich über ein¬
einhalb Millionen. Rundfunkteilneh¬
mer und mindestens 50 verschiedene
Radiomodelle (mit den neuen UKW-
Geräten werden es noch mehr sein).
Eine Frage taucht nun bei dieser
Feststellung der erfreulichen techni¬
schen Entwicklung auf: Warum be¬
schränkt die Radioindustrie ihre Er¬
zeugung nicht auf weniger, dafür aber
billigere und ebenso leistungsfähige
Modelle? Denn wenn sich ein Arbei¬
ter oder Angestellter keinen UKW-
Empfänger kauft, so ist das keine
Ein UKW-Vollsuper — einstweilen noch ein Wiinschtraum für viele Arbei- Abwehr oder Verständnislosigkeit ge-
ter und Angestellte. Wäre es der Radioindustrie nicht möglich, weniger ver- 9en den technischen Fortschritt, son-
schiedenartige, dafür aber billigere und ebenso leistungsiähige Radiomodelle dern ausnahmslos eine Frage der
auf den Mark! zu bringen? Brieftasche. Ln.
Seile 4 Nr. 202 SOLIDARITÄT