natürlich auch im gegebenen Falle
eine höhere Rente. Ferner sollen die
bisher nicht sozialversicherungs¬
pflichtigen Lohnanteile, wie Schmutz¬
zulagen, Weihnachtsremuneration,
dreizehnter oder vierzehnter Mo¬
natsgehalt usw., in die Beitrags¬
pflicht zur Sozialversicherung ein¬
bezogen werden.
Gewiß ein Opfer für die Arbeit¬
nehmer, aber die Probleme der
Rentenerhöhungen müssen gelöst
werden, wenn der Wunsch aller
Arbeiter und Angestellten nach
einem sorglosen, von keinen wirt¬
schaftlichen Nöten bedrückten Le¬
bensabend in Erfüllung gehen soll.
Trotz der Sorge um die Existenz
der alten Arbeiter und Angestellten
wird aber auch die Forderung
nach der Volkspension, in die alle
Berufsschichten, auch die Klein¬
bauern, einbezogen sind, und die
Forderung nach einer ausreichen¬
deren Beihilfe für kinderreiche Fa¬
milien nicht verstummen. Erst mit
der Lösung dieser Fragen wird
Österreich in der Sozialversiche¬
rung den Anschluß an sozial hoch¬
stehende europäische Länder ge¬
funden haben.
Die Kasse ist leer
Der Verlag des österreichischen Ge-
werkschaitsbundes, dessen Auigabe
es ist, für alle Arbeiter, Angestellten
und Betriebsräte wichtige und wert¬
volle Bücher und Gesetzesbroschüren
zum Selbstkostenpreis herauszubrin¬
gen, versendet im Bedarfsfälle an die
Betriebsräte größerer Betriebe eine
Musterkollektion mit Neuerscheinun¬
gen. Die Kolleginnen und Kollegen
sollen die Katze nicht im Sack kaufen,
sondern sich davon überzeugen, daß
sie um ihr gutes Geld auch gute und
billige Bücher erhalten.
In diesen Kollektionen sind immer
die neuesten, für den Betriebsrat un¬
entbehrlichen Bücher und Gesetzes¬
broschüren enthalten, die er auf
Grund des Betriebsrätegesetzes kau¬
fen und auch aus dem Betriebsrats-
ionds bezahlen kann. Natürlich müs¬
sen die Kollektionen entweder gekauft
oder an den Verlag zurückgesendet
werden. Bei einer einzigen Aussen-
cung an die in Frage kommenden grö¬
ßeren Betriebe werden oft mehr als
10.000 Bücher und Broschüren ver¬
schickt. Es läßt sich leicht ausrechnen,
daß der nicht auf Gewinn aufgebaute
Verlag des OGB diese Kollektionen
nicht verschenken kann.
Vor kurzem schrieb nun ein Be¬
triebsrat mit anerkennenswerter Offen¬
heit einen Brief an den Verlag: „Ich
möchte die Frage stellen, ob ich die
Bücher zurückschicken soll oder ob
ich sie als Betriebsrat behalten kann.
Geld kann ich dafür keines auslegen,
denn wir haben eine Betriebsfeier ge¬
habt, und da ist die Betriebsratskasse
fast entleert."
Der Betriebsratsfonds ist eine sehr
zweckdienliche Einrichtung. Auch eine
gemütliche Betriebsfeier hat sehr viel
für sich. Eine reichhaltige Betriebs¬
ratsbibliothek ist ebenfalls sehr nütz-
lich, und neue Bücher für die Werk¬
bibliothek bringen der Belegschaft im¬
mer viel Freude. Nur eine leere Be¬
triebsratskasse ist ausgesprochen un¬
angenehm, denn ohne Geld gibt es
„ka Musi" für die Betriebsfeier und
leider auch keine Bücher für die
Bibliotheken.
Was man dagegen machen kann?
Wenn der Sinn einer Betriebsratskasse
nicht verlorengehen soll, muß ein Be¬
triebsrat mit dem Fonds so haushalten
wie eine Hausfrau mit dem Wirt¬
schaftsgeld.
Was wir zu der Liberalisierung sagen
Unter dem Begriff „Liberalisierung" vollzieht sich seit ungefähr zwei Jah¬
ren ein wichtiger Schritt zur europäischen Integration. Die Grenzen der
OEEC-Staaten (das sind alle europäischen Staaten mit Ausnahme der des Ost¬
blocks sowie mit Ausnahme von Finnland, Spanien und Jugoslawien) wer¬
den für einen freizügigen Warenverkehr geöffnet. Die seit dem zweiten Welt¬
krieg übliche Methode der Einfuhrverbote und Einfuhrkontingentierungen
wird immer mehr abgeschafft.
Österreich hat erstmalig am 1. Juli
1953 eine bescheidene Teilliberalisie¬
rung vorgenommen. Bis dahin war
Österreich, als Land mit nicht ge¬
nügend konsolidierter Wirtschafts¬
lage, genötigt, eine strenge Einfuhr-
kontrolle und Devisenbewirtschaftung
aufrechtzuerhalten. Jeder einzelne
Importantrag mußte — von gering¬
fügigen Ausnahmen abgesehen — so¬
wohl vom Handelsministerium (Ein¬
fuhrlizenz) als auch von der National¬
bank (Devisenzuteilung) bewilligt wer¬
den. Der ersten Liberalisierungsphase
die sich relativ reibungslos vollzog,
folgte Mitte Dezember vorigen Jah¬
res eine zweite.
Durchschnittliche Zollbelastung in
Prozenten des Warenwertes. Wie man
sieht, hat Österreich noch immer ein
hohes Zollniveau. Die Statistik wider¬
legt klar alle gegenteiligen Be¬
hauptungen.
Seither hat Österreich zirka die
Hälfte seiner Einfuhr aus den
OEEC-Staaten liberalisiert. Dabei ist
zu berücksichtigen, daß ungefähr
zwei Drittel unserer Importe aus
dieser Staatengruppe stammen. Die
günstige Zahlungsbilanz — Öster¬
reichs Guthaben im Rahmen der
Europäischen Zahlungsunion (EZU)
hat sich auf fast 100 Millionen Dol¬
lar erhöht — zwingt uns zu weite¬
ren Liberalisierungen.
Ein durch die Präsidenten der Kam¬
mern, des Gewerkschaftsbundes und
der Nationalbank erweitertes wirt¬
schaftliches Ministerkomitee beschloß
Anfang Jänner 1954, per 1. März 1954
eine sechzigprozentige Liberalisierung
durchzuführen. Im Laufe des ersten
Halbjahres 1954 sollen darüber hinaus
weitere Liberalisierungsmaßnahmen
ergriffen werden.
Obwohl diese Entscheidung im Hin¬
blick auf die günstige Zahlungsbilanz¬
situation zu erwarten war, hat sie in
industriellen und landwirtschaftlichen
Kreisen größte Aufregung hervorge¬
rufen. Entgegen dem vielfach abgeleg¬
ten Lippenbekenntnis zur „Freien
Wirtschaft" fürchten nämlich diese
Kreise nichts so sehr, als einen wirk¬
lich freien Wettbewerb. Selbst das
Dogma von der „Nichteinmischung
des Staates in wirtschaftliche Fragen"
wird fallen gelassen. Im Gegenteil:
Man fordert vom Staat, daß er die
durch die ausländische Konkurrenz
gefährdeten Praktiken der inländi¬
schen Monopole und Kartelle durch
möglichst prohibitive Zölle schützt.
Jede einzelne Wirtschaftssparte hat
durch ihren Fachverband eine „ent¬
sprechende" Zolltarifnovelle aus¬
arbeiten lassen.
Die Verwirklichung dieser Pläne soll
die Aufrechterhaltung eines über¬
höhten inländischen Preisniveaus er¬
möglichen. Die österreichischen Pro¬
duzenten wollen weiterhin nach dem
Grundsatz „kleiner Umsatz — große
Rentenversicherungsbeiträge nachentrichten!
Am 1. April 1952 ist das Erste
Sozialversicherungs - Neuregelungsge¬
setz (1. SV-NG.) in Kraft getreten.
Gemäß § 31 dieses Gesetzes können
Arbeiter und Angestellte und auch
Personen, die nicht mehr in Beschäfti¬
gung stehen, unter gewissen Voraus¬
setzungen Beiträge zur Invaliden- (Ar¬
beiter-), Angestellten- oder Bergarbei¬
terversicherung nachentrichten. Diese
Möglichkeit soll Härten, die sich aus
der Aufhebung der „ewigen Anwart¬
schaftswahrung" durch dasselbe Gesetz
ergeben, ausgleichen.
Im Höchstfall können für drei
Jahre (156 Wochenbeiträge = 36
Monatsbeiträge) Versicherungszeiteil
erworben werden. Davon zählen
jedoch nur zwei Jahre (104 Wochen¬
beiträge = 24 Monatsbeiträge) für
die Erfüllung der Wartezeit. Der
restliche Jahresbeitrag wird aber
für die Anrechnungsfähigkeit der
Versicherungszeiten (Halb- und Drit¬
teldeckung) gewertet. Für die Be¬
messung der Leistung (Rentenhöhe)
zählen alle drei Jahresbeiträge.
In der Invalidenversicherung kann
man einen Wochenbeitrag für 7 Schil¬
ling, in der Angestelltenversicherung
einen Monatsbeitrag für 30 Schilling
und in der Bergarbeiterversicherung
einen Monatsbeitrag für 37 Schilling
erwerben. Die Summe der möglichen
Nachentrichtung beträgt in der Inva¬
lidenversicherung 1092. Schilling (156
Wochenbeiträge zu 7 Schilling), in der
Angestelltenversicherung 1080 Schil¬
ling (36 Monatsbeiträge zu 30 Schil¬
ling) und in der Bergarbeiterversiche-
rung 1332 Schilling (36 Monatsbeiträge
zu 37 Schilling).
Die Nachversicherung kann nur für
»ach dem 31. Dezember 1938 gelegene
Zeiträume vorgenommen werden, und
zwar lediglich für Zeiten, in denen
bisher keine Beiträge auf Grund der
Versicherungspflicht (Beschäftigung)
oder auf Grund der Versicherungs¬
berechtigung (Selbstversicherung oder
freiwillige Fortsetzung der Versiche¬
rung) entrichtet wurden.
Das Recht zur Nachentrichtung be¬
sitzen alle Personen, die in der Zeit
vom 1. Jänner 1939 bis zum 31. März
1952 mindestens 26 Beitragswochen in
der Invalidenversicherung oder sechs
Beitragsmonate in der Angestellten¬
oder in der Bergarbeiterversicherung
erworben haben. Außerdem können
jene Personen gemäß § 31 des 1. SV-
NG. von der Möglichkeit der Nach¬
entrichtung Gebrauch madren, die
nach den vor dem Inkrafttreten des
1. SV-NG., also nach den bis zum
31. März 1952 gültig gewesenen ein¬
schlägigen Bestimmungen der Reichs¬
versicherungsordnung eine Mindest¬
beitragszeit von 260 anrechenbaren
Wochen in der Invalidenversicherung
oder 60 anrechenbaren Monaten in
der Angestellten- oder in der Berg¬
arbeiterversicherung nach weisen.
Die Vorschriften über die Warte¬
zeit und über die Anredrenbarkeit
von Beiträgen in der Rentenversiche¬
rung nach der Reichsversicherungs¬
ordnung und nach dem 1. SV-NG.
sind im Heft Nr. 36 der im Verlag des
ÖGB erschienenen Broschüre „Die In¬
validenversicherung" ersichtlich.
Die Nachentiichtung muß bis
längstens 30. Juni 1954 beim zu¬
ständigen Versicherungsträger bean¬
tragt werden. Nach diesem Termin
besteht keine Möglichkeit mehr, die
(Fortsetzung auf Seite 3)
Spannen“ den österreichischen Kon¬
sumenten ausbeuten und auf ihre über¬
mäßigen Gewinne nicht verzichten.
Die Stärkung der Kaufkraft der Kon¬
sumenten ist aber der Hauptvorteil
der Liberalisierung. Nur wenn durch
die Liberalisierung eine wesentliche
Senkung des inländischen Preisniveaus
eintritt, kann die sich daraus er¬
gebende Erhöhung des Realeinkom¬
mens gewisse beschäftigungspolitisehe
Schwierigkeiten kompensieren.
Sicherlich wird es einzelnen Betrie¬
ben schwerfallen, gegen die auslän¬
dische Konkurrenz zu bestehen. So¬
fern die Rationalisiemngsmöglich-
keiten voll ausgeschöpft und die Ge¬
winnspannen auf ein Minimum ge¬
senkt wurden, wird man dort, wo
mäßige Schutzzölle noch fehlen, solche
in Erwägung ziehen können.
Man muß sich aber dabei bewußt
sein, daß Schutzzölle zugunsten un¬
rationell produzierender Betriebe die
Weiterverarbeiter zwingen, über¬
höhte Preise zu zahlen.
Die weiterverarbeitenden Betriebe
werden dadurch in ihrer Konkurrenz¬
fähigkeit, vor allem aber in ihrer
Exportfähigkeit beeinträchtigt.
Die Erfahrungen der dreißiger Jahre
haben jedenfalls gezeigt, daß eine all¬
gemein angewandte Hochschutzzoll¬
politik die Arbeitsplätze nicht zu
sichern vermag. Im Gegenteil, die im
Schutze hoher Zölle angewandte Preis¬
politik schmälerte das Realeinkom¬
men der breiten Masse der Arbeiter
und Angestellten, wovon der Inlands¬
absatz unserer Industrieerzeugnisse
besonders betroffen war.
Man muß sich schließlich auch im
klaren sein, daß eine so auslands¬
abhängige Volkswirtschaft wie die
österreichische nicht nach dem
Grundsatz handeln kann: exportie¬
ren — ja, importieren — nein. Un¬
sere Vertragspartner würden sich
eine derartige Politik wohl kaum
lange gefallen lassen,
zumindest dann nicht, wenn Öster¬
reich Wert darauf legt, nicht nur Roh¬
stoffe (Holz), sondern auch vor allem
Fertigwaren zu exportieren.
Die bevorstehende Liberalisierung
wird möglicherweise innerösterreichi¬
sche Zollverhandlungen über die
Neugestaltung von Zollsätzen bei ein¬
zelnen Positionen nach sich ziehen. Bei
diesen Verhandlungen wird es. not¬
wendig sein, die Interessen der Pro¬
duzenten mit den Wünschen der Wei¬
terverarbeiter und insbesondere auch
der Letztverbraucher in Einklang zu
bringen.
IlberalisierT
Portugal
Holland
nicht liberalisiert
Das ist der Stand der Liberalisierung
in 'Österreich gegenüber anderen euro¬
päischen Staaten. Ab März 1954 wird
sich die Liberalisierungsquote in Öster¬
reich auf 60 Prozent erhöhen.
Von der österreichischen Indu¬
strie und Landwirtschaft muß jeden¬
falls erwartet werden, daß sie die
größten Anstrengungen unterneh¬
men, um ohne staatliche Interven¬
tionsmaßnahmen im internationalen
Wettbewerb zu bestehen.
Nur wenn es gelingt, den weit über¬
wiegenden Teil der österreichischen
Industrie international konkurrenz¬
fähig zu machen, kann Österreich den
Integrationsbestrebungen Europas mit
Ruhe entgegensehen.
Seite 2 Nr. 208 SOLIDARITÄT