„MM'-unkt Vmiadt waren ganz erstaunt, daß nicht nur ein Kriminalfilm interessant und spannend sein kann. „Was sagst, Mitzi", sagt ein junger Mann am Ende der Vorstellung zu seiner Be¬
gleiterin, „das war schöner wie a
Wildwester."
‘In Stadlau, in Liesing, in Florids¬
dorf, überall die gleiche Begeiste¬
rung. Im Arbeiterheim, im Kino, im
Ballsaal. Fachkundige Künstler¬
hände zaubern eindrucksvolle Büh¬
nenbilder, wendige Regisseure und
überragende Darsteller geben den
Dichtungen Leben und Gestalt.
„Helden" von Shaw, „Der Biber¬
pelz" von Hauptmann, „Tartuffe"
von Moliere und Schillers „Kabale
und Liebe" werden bis April dieses
Jahres in zwölf Vorstadtbezirken
aufgeführt. Die Eintrittspreise sind,
dank der Subvention der Wiener
Arbeiterkammer, nicht höher als
die Preise der Kinokarten, also für
jedermann erschwinglich.
„Das letzte Theaterstück hab' ich
vor 40 Jahren bei die Künstler in
der Sommaarena g'sehn", erzählt
uns ein altes Simmeringer Mutterl
nach der Vorstellung. Sie kann es
gar nicht glauben, daß es schon
aus ist. Und als die Leute endlich
nach dem x-ten Vorhang lang¬
sam aufbrechen, steht sie immer
noch vor der Bühne und klatscht
mit ihren zerfurchten Arbeitshän¬
den begeistert Beifall.
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Eigentümer. Herausgeber und Verleger: Öster¬
reichischer Gewerkschaftsbund, Redaktion:
Fritz Klenner und Franz Nekula. Verantwort¬
licher Redakteur: Karl Franta. Für die Bild¬
beilage verantwortlich: Fritz Konir. Gestaltung
der Bildbeilage: August Makart. Alle Wien,
I.. Hohenstaufengasse 10—12. Drude: Wald-
heim-Eberle. Wien, VII., Seidengasse 3—11.
Bernard Shaw in Simmering
Ein etwas blechern klingender
Gongschlag läßt das erwartungs¬
volle Gemurmel in dem vollbe¬
setzten Brauhaussaal verstummen.
Der erste Akt von Bernard Shaws
vergnüglicher Komödie „Helden"
beginnt. Mit meisterhafter Routine
überbrücken die Schauspieler die'
mäßiggute Akustik in dem hohen
Saal. Schon nach einigen Minuten
haben sie die Zuschauer aus der
phantasielosen Nüchternheit des
kahlen Raumes in die bunte Welt
der Komödie entführt.
So blutvoll und lebendig die
Darsteller ihre Rollen verkörpern,
so begeistert und aus dem Herzen
kommend schlägt ihnen der Ap¬
plaus des Publikums entgegen. Als
im dritten Akt der Schweizer
Hauptmann Bluntschli, eine der
Hauptfiguren des Stückes, von der
Bühne ruft: „Ich habe die höchste
Stelle, die die Schweiz zu ver¬
geben hat, ich bin ein freier Bür¬
ger!", da durchtost eine Welle
des Beifalls den Saal. Die Arbeiter
und Angestellten von Wien mit
seiner vierfachen Besetzung fühlen
die tiefe, ewige Wahrheit dieses
Satzes.
Nicht nur die Zuschauer sind begeistert, auch den Schauspielern
macht ihre neue Aufgabe — große Kunst in die Vorstadt zu tragen —
sichtliche Freude. Sie verlieren ihre gute Laune auch in den dürftigsten
Umkleideräuinen nicht, und das Publikum dankt ihnen dafür aus
ganzem Herzen.
Die Aufführung mußte außer
dem Programm wiederholt werden.
Es gab zu viele Stadlauer, die
beim besten Willen nicht mehr in
den Festsaal des Franz-Novy-
Heimes unterzubringen waren.
Den Stadlauern ist es unmöglich,
in Wien eine Abendvorstellung
in einem Theater oder Kino zu
besuchen, ohne kilometerlange
Fußmärsche zurückzulegen. Aue
junge Menschen haben „dort
unten" noch keine richtige
Theatervorstellung erlebt; sie
send". Immer mehr füllen sich die
Sitzreihen der Musentempel mit
Arbeitern und Angestellten. Und
dort, wo der Prophet nicht zum
Berg kommen kann, wird der Berg
zum Propheten kommen. Ein Thea¬
ter auf Rädern; es kommt in die
Vorstadt und aufs Land und kommt
damit seiner Berufung am näch¬
sten. Es wird zum richtigen
oflfotfeater
Obwohl ein grelles Plakat einen
Schlagerfilm mit dem vielverspre¬
chenden Titel: „Geh, mach dein
Fensterl auf" ankündigt, ist das
kleine Vorstadtkino halb leer. Die
Tafel mit dem Zauberwort „Aus¬
verkauft" hängt heute vor einer an¬
deren Kasse. Drüben, im großen
Brauhaussaal, wird Theater ge¬
spielt. Die langen Biertische, auf
die sonst beim Preisschnapsen so
mancher saftige „Zwanzger" hinge¬
knallt wird, sind weggeräumt. An
ihrer Stelle stehen 800 Stühle, und
auf diesen Stühlen sitzen 800 Men¬
schen und harren mit sichtlicher
Spannung der Dinge, die da kom¬
men sollen.
In diesem improvisierten Thea¬
tersaal gibt es keine plüschüber¬
zogenen Cerclesitze und keine
goldstrotzenden Balkonlogen. Die
Menschen im Parkett tragen keine
gesteiften Frackhemden oder
rückenfreie Abendroben. Hier
sitzen saubergekleidete,' einfache
Arbeiter und Angestellte, die nach
den Mühen des Tagwerkes in der
großen Kunst des Theaters Freude,
Entspannung und geistige Anre¬
gung suchen.
„Volkstheater“ auf Wanderschaft
Unsere Bilder zeigen Szenen bei
einer Theateraufführung in Liesing.
Alt und jung strömte herbei, um
endlich wieder gutes Theater zu
sehen. Für viele Liesinger war es
das erstemal im Leben.
aufgeführt. Zehntausende Arbeiter
und Angestellte, denen aus fahr¬
technischen Gründen ein Theater¬
besuch bisher versagt blieb, sehen
nun — oft zum erstenmal im
Leben — das wirklich „große Thea¬
ter". Ein faszinierender Gedanke
und ein voller Erfolg!
Theater — längst kein Privileg
mehr für die „oberen Zehntau-
Vortragszyklen, konstenlose Fahr¬
gelegenheiten in die Kulturzentren,
Exkursionen und berufliche Schu¬
lungen zeugen von der planmäßi¬
gen Kulturarbeit in allen Bundes¬
ländern.
Die Arbeiterkammer Wien, zum
Beispiel, hat das Volkstheater¬
ensemble auf Reisen geschickt.
Vier Monate hindurch werden nun
in den Wiener Vorstadtbezirken
von erstrangigen Darstellern
literarisch wertvolle Theaterstücke
Premiere in Stadlau
Die erste Aufführung des Volks¬
theaterensembles in Stadlau, das
ist im 22. Wiener Bezirk, gestal¬
tete sich zu einem richtigen „ge¬
sellschaftlichen" Ereignis. Die
Theaterkritiker der gesamten Wie¬
ner Presse waren erschienen, und
der vollbesetzte Autobus mit den
„Zeitungsleuten" erregte in den
„enteren Gründen" berechtigtes
Aufsehen.
Die neun Arbeiterkammern in
Österreich haben sich über ihre
sozialen und wirtschaftlichen Auf¬
gaben hinaus eine große Verpflich¬
tung auferlegt. Sie wollen den Ar¬
beitern und Angestellten helfen,
ihre in schweren Kämpfen errun¬
gene Freizeit auch richtig zu
nützen. Sie wollen sie hinausfüh¬
ren aus der deprimierenden Be¬
engtheit rauchtrüber Vorstadtknei¬
pen, aus der entmutigenden Hohl¬
heit oberflächlicher Vergnügungen.
Sie wollen, daß die arbeitenden
Menschen in Stadt und Land aus
einem gut verwendeten Feierabend
neue Lebensfreude schöpfen. Sie
wollen ihnen die Kulturgüter der
Welt erschließen, die unserem Le¬
benswerk erst Form und Inhalt
geben.
Und es gelingt ihnen! Hundert¬
tausende Arbeiter und Angestellte
werden von den Arbeiterkammern
kulturell betreut. Künstlerische
Veranstaltungen, wissenschaftliche
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