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Ist deine Rente gesichert ?
Das ist heule eine Frage, die schwerer wiegt als alle anderen sozial¬
politischen Fragen. Leider aber gibt es auch kaum eine andere, die sich
schwerer beantworten lädt.
Im kleinen Österreich fristet derzeit ein Heer von über eine Million
Menschen als Rentner, Pensionisten oder Kriegshinterbliebene zum über¬
wiegenden Teil ein Leben, welches mehr als bescheiden zu nennen ist. Es
muß auch festgestellt werden, daß sich diese Menschenmasse von Tag zu
Tag vergrößert, das Geld aber, das die Existenz dieser Menschen sichern
soll, immer weniger wird.
Diese Entwicklung spiegelt sich in erbitterten parteipolitischen Kämpfen,
in stürmischen Versammlungen der Rentner und in unablässigen Kämpfen in
der Öffentlichkeit wider. Auch die Regierungskrise im vorigen Jahr war zum
Teil auf diese Entwicklung zurückzuführen.
Die Bevölkerung wurde „älter“
Die wesentlichste Ursache des Rent¬
nerelends in Österreich ist die über¬
raschend zunehmende „Überalterung"
der Bevölkerung, die der Sozial¬
gesetzgebung zeitlich weit vorausge¬
eilt ist. Die Statistik drückt sich hier
nüchtern aus: Vor 50 Jahren ent¬
fielen auf je 100 Österreicher nur
fünf alte Leute über 65 Jahren, «rber
13 Kinder unter sechs Jahren. Heute
schon ist es beinahe umgekehrt: Das
Verhältnis ist jetzt eit alte Leute zu
acht Kindern,' und im Jahre 1980
wird es 16 alte Leute zu nur mehr
sieben Kindern sein.
Die monatlichen Aufzeichnungen
der UNO ergänzen dazu, daß Öster¬
reich der Staat mit der niedrigsten
Geburtenziffer der Welt ist.
Was wird 1980 sein?
Wenn nicht „von unten her" die
Bevölkerung laufend durch neue
Staatsbürger ergänzt wird, dann „über¬
altert" sie — erklären die Statistiker.
1953
Einwohner verloren haben, und zwar
vor allem Kinder und junge Leute.
An Stelle der verminderten Kinder¬
zahl wird es um die Hälfte mehr
Rentner und Pensionisten als heute
geben, das heißt, es werden weniger
arbeitsfähige Menschen mehr arbeits¬
unfähige^ alte Leute erhalten müssen.
gebung des Landes, sondern den gan¬
zen Staat in seinen Grundtesten er¬
schüttern könnte — wenn nicht
irgend etwas geschieht, das die heute
völlig veralteten versicherungstech¬
nischen Grundlagen der Altersver¬
sicherung von Grund auf ändert.
„Überalterung“ -
ein irreführender Ausdruck
Wir sprechen von ;,Überalterung*,
und manchmal wird sogar das Wort
„Vergreisung" in den Mund genom¬
men. Aber diese Begriffe erwecken
völlig falsche Vorstellungen. Denn
das, was wir jetzt erleben, ist keine
Vergreisung, sondern vielmehr ein
Gesünderwerden.
Die Welt hat sich seit einem hal¬
ben Jahrhundert grundlegend geän¬
dert: Um die Jahrhundertwende, als
die gesundheitliche Betreuung der Be¬
völkerung noch in den Kinderschuhen
steckte, als es noch eine zehn- bis
Es fällt oft nicht
nur seelisch sehr
schwer, endgültig
vom Arbeitsplatz
abzutreten, son¬
dern es bedeutet
heute auch einen
Sturz knapp rn das
Existenzminimum
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Vor fünfzig Jah¬
ren entfielen auf
je hundert Öster¬
reicher fünf • alte
Leute über 65 Jah¬
ren und dreizehn
Kinder unter sechs
Jahren. Jetzt ist
das Verhältnis —
elf alte Leute zu
acht Kindern und
im Jahre 1980 wird
es sechzehn alte
Leute zu nur mehr
sieben Kindern sein
In welchem Ausmaß sie überaltert,
zeigte das Statistische Zentralamt auf,
das die Bevölkerung Österreichs,
unterteilt nach Altersgruppen, bis
zum Jahre 1980 vorausberechnete.
Unter der Annahme, daß Geburten-
und Sterbeziffer gleich bleiben, wer¬
den wir demnach in Österreich in
30 Jahren um 250.000 Kinder unter
14 Jahren ärmer geworden sein, da¬
gegen werden die alten Leute über
45 Jahre — derzeit -765.000 an der
Zahl — die Eine-Million-Grenze über¬
schritten haben. Auch die Masse der
erwadrsenen Menschen, die „tra¬
gende", arbeitende Bevölkerung, wird
sich bis dahin um 200.000 verringert
haben. Alles in allem gesehen, wird
Österreich also in 30 Jahren 200.000
- Seite 8 Nr. 215 SOLIDARITÄT
Zehn Milliarden Schilling für Rentner
und Pensionisten!
Die Sicherung der Existenz unserer
Pensionisten und Rentner in der der¬
zeitigen Form kostet dem Bund, den
Ländern und den Rentenversicherungs¬
anstalten jährlich rund sieben Milliar¬
den Schilling oder täglich 20 Millio¬
nen Schilling. Bereits im Jahre 1980
wird der jährliche Renten- und Pen¬
sionsaufwand die Zehn-Milliarden-
Grenze überschritten haben. Zehn
Milliarden Schilling — das entspricht
vergleichsweise der Hälfte der jähr¬
lichen Gesamtausgaben des Bundes.
Wir sehen also, daß sich durch die
„Überalterung" eine Entwicklung an¬
bahnt, die nicht nur die Sozialgesetz¬
vierzehnstündige Arbeitszeit in den
Betrieben gab und die Arbeitsstätten
in hygienischer Hinsicht oft jeder
Beschreibung spotteten, da war der
Arbeiter meist schon nach 50 Lebens¬
jahren am Ende seiner Kräfte. Ein
Neugeborener hatte damals, nach
statistischen Berechnungen, die nicht
sehr beruhigende. Aussicht, nur 39
Jahre alt zu werden.
. Seither hat sich aber vieles geän¬
dert: Die Gewerkschaften erkämpften
nach und nach günstigere Arbeits¬
bedingungen, sie ermöglichten eine
moderne gesundheitliche Betreuung
aller Arbeitnehmer, und die Lebens¬
erwartung ist allmählich auf 64 Jahre
angestiegen.
Heu^e fühlen sich Hunderttausende
mit selbst diesem Alter noch zu
„jung", um endgültig vom Arbeits¬
platz abzutreten. Für sie bedeutet der
Eintritt in das Rentnerheer nicht nur
einen Sturz knapp an das Existenz-
minimum, sondern meist auch eine
schwere seelische Erschütterung, aus
dem Gefühl, bei kaum geminderter
Arbeitskraft „nicht mehr gebraucht zu
werden”.
Anpassung
an die biologische Entwicklung
Die biologische Entwicklung unserer
Bevölkerung treibt also einem Sta¬
dium entgegen, dem wir gerade jetzt
größte Aufmerksamkeit schenken müs¬
sen. Es ist schlecht, wenn man das
Problem des sich ständig vergrößern¬
den Rentnerheeres durch halbe Lösun¬
gen, durch eine „Vogel-Strauß-Politik”
zu beseitigen versucht. Wir glauben
vielmehr, daß hier völlig neue sozial¬
politische Wege beschritten werden
müssen. Wir müssen uns anpassen!
Anpassen an die biologische Entwick¬
lung durch eine auf weite Sicht pla¬
nende Sozialpolitik — das ist alles,
aber auch das Richtige', was wir
machen können. Es liegt in unserer
Macht, die richtige Sozialpolitik zu
bestimmen.
Neue Wege der Sozialpolitik
Das Rentenproblem beschäftigt nicht
nur Österreich in steigendem Maße,
sondern veranlaßt auch andere Län¬
der, sich mit seiner Lösung zu be¬
fassen. In einigen Staaten, besonders
in England und in Skandinavien, aber
auch in den Vereinigten Staaten wird
dieser Frage immer größere Aufmerk¬
samkeit zugewendet. Man sagt sich
mit Redrt, daß es wirtschaftlicher sei,
mehr Arbeitsplätze zu schaffen, als
gesupde oder nur leicht arbeitsbehin¬
derte Menschen in das große Heer
unzufriedener Rentner zu stoßen._
gehen dahin, der abnehmenden Ar¬
beitskraft des alternden Mönschen
durch eine schonende Beschäftigung
entgegenzukommen. Nicht mit einem
Sprung ins kalte Wasser — so wie
das jetzt allgemein der Fall ist —
soll die Dienstzeit abgeschlossen wer¬
den, sondern allmählich, bei ständig
abnehmender täglicher ArbetUrzm^l^^^
soll der alternde Mensch "iil-l(I5n^
Ruhestand geführt werden.
Der abnehmenden täglichen Arbeits¬
zeit entsprechend wird natürlich auch
der Verdienst allmählich gekürzt, der
dadurch entstehende Verdienstaus¬
fall wird durch eine ständig steigende
Rente auf den vollen Wert des ur¬
sprünglichen Verdienstes ergänzt.
Den alternden Menschgn urrd ’mlai
den Rentenanstalten Icäme dieses
System der Anpassung an die
logische Entwicklung sehr zugute.^
Wirtschaftlich dürfte es aber auf sehr
große Schwierigkeiten stoßen. Der
Vorschlag, die Arbeitszeit bei ent¬
sprechendem Alter auf eine Halbtags¬
beschäftigung — unter den gleichen
Verdienstvoraussetzungen — herab¬
zusetzen und dafür einen zweiten
Arbeitnehmer einzustellen, ist jeden¬
falls sehr diskutabel und könnte auch“*
technisch ohne weiteres durchgeführt
werden.
Hunderttausende wertvolle Arbeits¬
kräfte w'ürden dadurch der Volks¬
wirtschaft erhalten bleiben, ohne daß
den Jungen die ArbeitsmöglichkeU*,/'
genommen wird. Hier handelt es sich
um Vorschläge, die wert sind, disku¬
tiert zu werden.
Siegfried S t r e n i t z
Eigentümei, Heiausneber und Verleger: Osler-
reichischer Gewerkschaftsbund. Redaktion:
Fritz Klenner und Franz Nekuia. Verantwort¬
licher Redakteur Karl Franta. Für die Bild-
beilage verantwortlich: Fritz Konir. Gestaltung
der Bildbeilage: August Makart. Alle Wien,
I, Hohenstauienqasso 10—1?. Druck: Wald-
heim-Eberle, Wien, VII., Seidengasse 3—11-