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Full text: Solidarität - November 1954, Heft 229 (229)

belanglos, denn Schulung und Wis¬ sen sind die Grundlagen jedes so¬ zialen Erfolges. Längst ist dieser Rückgang heuer wieder aufgeholt. Hunderttausende Männer und Frauen nehmen Jahr um Jahr die Bildungseinrichtungen der Gewerk¬ schaften in Anspruch und geben ihrem Leben damit Ziel und Wert. Auf Seite 251 des Tätigkeits¬ berichtes .stellt das Frauenreferat mit Besorgnis fest, „daß sich durch das sprunghafte Ansteigen der Zahl der Schulaustretenden die Berufs- möglichkeiten für die Mädchen noch mehr verschlechtert haben". Diese Tatsache bedeutet für das Frauenreferat eine Fülle neuer or¬ ganisatorischer Arbeit. Daß der An¬ teil der Frauen an der Zahl der Mit¬ glieder im Gewerkschaftsbund zwar langsam, aber ständig ansteigt — er betrug im Vorjahr 25,7 Prozent —, ist eine erfreulichere Seite im Be¬ richt des Frauenreferats. Auf Seite 207 berichten das Pressereferat und der Verlag des ÖGB mit überaus interessanten Zahlen. Diese Zahlen sind ein Be¬ weis dafür, welchen Wert der Ge¬ werkschaftsbund darauf legt, mit den Mitgliedern in ständigem Kon¬ takt zu bleiben. Die Gewerkschaftspresse hatte 1953 eine Gesamtauflage von 44 Millionen Exemplaren. Wichtiges gewerkschaftliches Gedankengut wird mit jeder Zeitung bis in die ent¬ legensten Arbeitsstätten getragen. Der Verlag wieder gibt Gesetzes¬ broschüren und anerkannte Fach¬ literatur heraus und stellt damit dem Arbeiter und dem Angestellten das notwendige Rüstzeug für Beruf und Recht zur Verfügung. Der sozialpolitische Bericht um¬ faßt 42 und der Wirtschaftsbericht sogar 62 Seiten. Ungeschminkt und klar werden darin alle Probleme geschildert, die unseren Staat und die Arbeitnehmer betreffen. In die¬ sem Zusammenhang nur das eine: 288 Kollektivverträge wurden 1953 abgeschlossen, und jeder einzelne brachte den Arbeitern oder An¬ gestellten lohn- und arbeitsrecht- iiche Verbesserungen. Rundfunk, Werbung, Mitglieder¬ bewegung — wie sollen wir in die¬ sem kurzen Artikel die Jahresarbeit der neun Referate des ÖGB richtig würdigen oder von der umfang¬ reichen Arbeit der Landesexekuti¬ ven des ÖGB und der 16 Gewerk¬ schaften berichten? Der Tätigkeits¬ bericht versucht es auf 631 Seiten. Er muß sich dabei auf nüchterne Feststellungen und Zahlen be¬ schränken; bescheiden übergeht er die menschliche Leistung und Initia¬ tive, von denen jeder gewerkschaft¬ liche Erfolg abhängt. Auf diese menschliche Leistung und Initiative aber, die hinter der gewerkschaft¬ lichen Arbeit eines Jahres stehen, sind sie doch die Seele und Kraft unserer großen Organisation, wol¬ len wir mit diesen Zeilen hinweisen. (Fortsetzung von Seite 1) Und du? den anderen unserer Mitglieder in den Dienst der Werbeaktion stellst, können viele neue Anhänger unserer Bewegung gewonnen werden. Der Appell zur Mithilfe an der Werbeaktion erfolgt auch in dei¬ nem Interesse. Ob es dir nun an¬ genehm ist oder nicht, dein Los ist untrennbar mit dem aller Arbeiter und Angestellten verbunden. Wenn du willst, daß es dir besser gehe, mußt du dein Teil dazu beitra¬ gen, daß wir noch stärker und ein¬ flußreicher werden! Hände weg von der Arbeitslosenversicherung! Wer erinnert sich nicht an die ersten Monate dieses Jahres, in denen die Arbeitslosigkeit den Stand von 300.000 überstieg? Der Österreichische Gewerk- schaflsbund hatte unermüdlich schon Jahre vorher auf die immer schlechter werdende Entwicklung des Arbeitsmarktes hingewiesen und Wege zur Be¬ kämpfung gezeigt. Aber so gut wie nichts wurde von den verantwortlichen Stellen der Wirtschaft zur Änderung dieser Entwicklung unternommen, bis es schließlich zur Katastrophenarbeitslosigkeit im vergangenen Winter kom¬ men mußte. Zuerst wollten die verantwortlichen Kreise, deren Wirtschafts¬ konzept durch die monatlich ansteigenden Arbeitslosenziffern systematisch widerlegt wurde, diese nicht wahrhaben und totschweigen, bis sie schließlich die Tatsachen zur Stellungnahme zwangen. Man redete sich auf Saison¬ arbeitslosigkeit und falsche Statistiken aus. Die „Solidarität" wies damals bereits nach, daß die Symptome einer strukturellen Arbeitslosigkeit immer stärker wurden. Die im Laufe des Sommers einge¬ tretene Wirtschattskonjunklur, die vor allem der von den Gewerkschaf¬ ten immer wieder geforderten Ver¬ stärkung und Förderung der Bautätig¬ keit zu verdanken ist, ließ das Thema „Arbeitslosigkeit" vorläufig wieder in den Hintergrund treten. Rechenkunststücke Vor kurzem erschienen nun in mehreren Zeitungen und Zeitschrif¬ ten Besprechungen über eine von der „Sozialwissenschaftlichen Ar¬ beitsgemeinschaft" stammende Ana¬ lyse der Arbeitslosigkeit im Jän¬ ner 1954“. Diese versucht, durch die Entdeckung einer unechten Arbeits¬ losigkeit den Katastrophenstand von 300.(100 Arbeitslosen „auf einen nahezu der Vollbeschäftigung entsprechenden Stand von 100.00Ö Arbeitslosen" herunterzuanalysieren. Die Berech¬ nungen sind sehr einfach. Von den 300.000 Arbeitslosen waren 47.198 be¬ schränkt vermittlungsfähig, 13.000 for¬ mell vorgemerkt (nur zur Erhaltung von sozial versichern ngsrechtlichen Ansprüchen), 10.000 fingierte Arbeits¬ lose, 20.000 arbeitsmarktfremde Frauen und 113.000 Saisonarbeiter. Somit wird also rund 200.000 im Jänner 1954 bei den Arbeitsämtern als arbeitslos ge¬ meldeten Personen das ohnehin bittere Los abgesprochen, als Arbeitslose zu gelten. Was bezweckt nun diese im Okto¬ ber erschienene Analyse der Jänner- Arbeitslosigkeit? Die Antwort ist ein¬ fach: Nicht die Planlosigkeit der Wirtschaft ist schuld an der Arbeits¬ losigkeit, sondern — das Arbeits- losenvei Sicherungsgesetz. Seltsame Vorschläge Auch ein geeignetes Heilmittel für die „Sanierung der Arbeitslosenver¬ sicherung" ist gleich bei der Hand. Im wesentlichen würde man folgende Maßnahmen voraussetzen: 1. Als Unterlage für die Konzipierung des neuen Gesetzes soll der Text des Arbeitslosenversidierungsge- setzes von 1920 in der letzten Fas¬ sung dienen. 2. Erhöhte Anwartschaftszeiten und beschränkte Leistungen für arbeits- marktfremde Personen. 3. Gefährdung des Lebensunterhaltes als Voraussetzung für jeden An¬ spruch auf Unterstützung ans den Mitteln der Arbeitslosenversiche¬ rung. 4. Erhöhung der Unterstützung auf ein Maß. das Gefährdung des Lebens¬ unterhaltes des Arbeitslosen und seiner Familie ausschließt. 5. Erhöhung der Beiträge zur Deckung der erhöhten Unterstützungssätze; sie kann geringfügig sein, da der Mehraufwand durch den Ausfall bisher Berechtigter infolge der Punkte 2 und 3 reichlich kompen¬ siert wird. 6. Wirksame Bestimmungen zum Schutze der Arbeitslosenversiche¬ rung vor Ausnützung und Mi߬ brauch. Diese Vorschläge, auf einen ein¬ fachen Nenner gebracht, heißen: Das Rad der Geschichte ist um Jahrzehnte zurückzudrehen: aus der Versicherung muß wieder eine Fürsorge werden. Zweifelhafte Beweise Die Entdeckungen der „Sozialwissen¬ schaftlichen Arbeitsgemeinschaft" gehen auf eine sehr zweifelhafte Be¬ weisführung zurück. Die Saisonarbeits¬ losigkeit sei unabänderlich naturge¬ wollt, und die Saisonarbeiter müßten sich zum Ausgleich einen höheren Saisonarbeiterlohn holen. Die b e- schränkt Vermittlungsfähi¬ gen sollten eigentlich eine Rente er¬ halten. Dabei wird übersehen, daß es sich bei dieser Gruppe um die im b i s- h e r i g e n Beruf beschränkt ver- mittlungsfähigen Personen handelt, die in anderen Berufen voll kon¬ kurrenzfähig sein könnten und eine echte Arbeitskraftreserve bilden. Die formell Vorgemerkten seien keine wirklichen Arbeitslosen, weil sie sich nur zur Wahrung der Anwartschaft in der Rentenversiche¬ rung anmelden und daher eine Ände¬ rung der Anwartschaftsbestimmungen diese Arbeitslosigkeit beseitigen könnte. Schließlich gäbe es noch f i n- gierte Arbeitslose, die neben dem ÜntersFützungsbezug „schwarz - arbeiten. Hier sind auch wir für eine scharfe Anwendung des Gesetzes, die Analyse bleibt uns jedoch den Beweis schuldig, wie sie zur Zahl von 10.000 Arbeitslosen gelangt, denen sie dies vorzuwerfen hat. Ein Feldzug gegen die Aibeüslosenversicherung Schließlich wird einem V 1 e r 1 e 1 der arbeitslosen Frauen vor¬ geworfen, in Wirklichkeit arbeits¬ marktfremd zu sein und lediglich kurzfristige Beschäftigungen zur Er¬ langung der Voraussetzungen zum Be¬ zug des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe einzugehen. Auch in dieser einer wirklich eingehenden Untersuchung würdigen Frage kommt die „Analyse" zu. unbewiesenen und gänzlich aus der Luft gegriffenen Be¬ hauptungen. Obwohl sich der Beifall der Un¬ ternehmer zu dieser „Analyse", aus Freude, endlich den Schuldigen an der Arbeitslosigkeit gefunden zu haben, systematisch über den gesamten Unternehmerblätterwald Österreichs verbreitete, hätte man die ganze Sache nicht ernst zu nehmen brauchen. Ein anderes Gesicht bekam die Angelegenheit allerdings, als -— zwar noch nicht so konkret, aber immerhin deutlich genug -— der Finanzminister in seiner Budget¬ debatte am 27. Oktober 1954 in das¬ selbe Horn zu stoßen begann. Nun darf sich niemand mehr darüber hin¬ wegtäuschen, daß ein wohldurch¬ dachter planmäßiger Feldzug gegen unsere Arbeitslosenversicherung in Gang gesetzt wurde. Da ist nichts zu holen! Zugegeben, so wie bei allen größe¬ ren Einrichtungen, gibt es auch bei der Arbeitslosenversicherung Unzu¬ kömmlichkeiten und Mißbräuche. Zwei Drittel aller Arbeitslosen aber direkt oder indirekt eines solchen Mißbrauches zu bezichtigen, wotür sie mit dem Entzug der Arbeitslosen¬ unterstützung bestraft werden sollen, muß schärfstens zurückgewiesen wer¬ den. Der Gewerkschaltsbund wird die in Jahrzehnten aufgebaute Arbeits¬ losenversicherung nicht zerschlagen lassen. Wer es mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ernst meint, sollte seine Energien nicht auf entstellende „Analysen" verwenden, sondern für die Herbeiführung der notwendigen Korrekturen in der Wirtschaft sorgen. upe Gerne zur Kenntnis genommen Anscheinend als Antwort auf un¬ seren Leitartikel in der letzten Num¬ mer der „Solidarität" (Nr. 228), in dem wir uns dagegen wandten, daß die derzeitigen Lohnbewegungen als Vor¬ griff auf erst zu erzielende Produk- tivitälssteigerungen betrachtet wer¬ den, schreibt der Artikeldienst der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, daß nach dem offiziellen Lohnindex im September die Netto¬ löhne der Arbeiter um 7,9 Prozent höher waren als im gleichen Monat des Jahres 1953. Bei den Preisen hat keinesfalls eine solche Aufwärtsent¬ wicklung stattgefunden, daß die Lohn¬ steigerungen dadurch wieder illu¬ sorisch wurden. Der Index der Lebenshaltungskosten im September 1954 lag um 2,4 Prozent über dem Stand des Vorjahres. Die Bundeskam¬ mer will damit feststellen — wie sie schreibt —. daß „die Erträgnisse der großartigen Leistungssteigerung der österreichischen Wirtschaft allen zu¬ gute kommen". Es läßt sich nun darüber streiten, ob die Früchte der Wirtschaftskon¬ junktur bisher in angemessenem Aus¬ maß den Arbeitern und Angestellten zugute gekommen sind. Immerhin ver¬ merken wir aber mit Genugtuung, daß mit keiner Silbe bestritten wird, daß die Produktivitätssteigerung allen zu¬ gute zu kommen hat, und auch mit keinem Worte davon die Rede ist. daß es sich bei den bisherigen Lohn¬ bewegungen um Vorgriffe auf erst zu erfolgende Leistungssteigerungen ge¬ handelt hat. Was auch wir mit unserem Leit¬ artikel gesagt haben wollten. Falsche Bezeichnung Mit selbstgefälligem Schmunzeln be¬ richtete die von den Unternehmern herausgegebene „Neue Wiener Tages¬ zeitung" am 7. November von drei „Diebes-Gewerkschaften", die es an¬ geblich in Mailand geben soll. Eine Gewerkschaft bestehe für Diebe von Gepäck und Kleidungsstücken, eine für Diebe von Werkzeugen und Auto- ersalzteilen und eine schließlich lür Autodiebe. Jeder Außenstehende sei von Diebszügen praktisch ausge¬ schlossen. Mag sein, daß es so etwas wirklich gibt, doch iragt sich, wieso man dabei ausgerechnet auf die Bezeichnung „Gewerkschaft" kommt. Bei Dieben kann es sich ja sozusagen nur um „selbständig Erwerbstätige" handeln, deshalb wäre es doch besser, hier von einem — Kartell zu reden ... Eiuentümer. Herausrjebor und Verlefler: öster¬ reichischer Gewerkschaltsbund Redaktion: Fritz Kienner und Franz Nekuia. Verantwort¬ licher Redakleur: Karl Franta. Für die Bild- beilaqe verantwortlich: Fritz Konii Gestaltung der Bildbeilage: August Makart Alle Wien. Hohenstaufengasse 10—12 Verwaltung und Expedition: Wien, 111 Rennweg 1 Druck: Waldbeiro-Eberle, Wien, VIF, Seidengasse S—11. Seite 2 Nr. 229 SOLIDARITÄT
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