belanglos, denn Schulung und Wis¬
sen sind die Grundlagen jedes so¬
zialen Erfolges. Längst ist dieser
Rückgang heuer wieder aufgeholt.
Hunderttausende Männer und
Frauen nehmen Jahr um Jahr die
Bildungseinrichtungen der Gewerk¬
schaften in Anspruch und geben
ihrem Leben damit Ziel und Wert.
Auf Seite 251 des Tätigkeits¬
berichtes .stellt das Frauenreferat
mit Besorgnis fest, „daß sich durch
das sprunghafte Ansteigen der Zahl
der Schulaustretenden die Berufs-
möglichkeiten für die Mädchen
noch mehr verschlechtert haben".
Diese Tatsache bedeutet für das
Frauenreferat eine Fülle neuer or¬
ganisatorischer Arbeit. Daß der An¬
teil der Frauen an der Zahl der Mit¬
glieder im Gewerkschaftsbund zwar
langsam, aber ständig ansteigt —
er betrug im Vorjahr 25,7 Prozent —,
ist eine erfreulichere Seite im Be¬
richt des Frauenreferats.
Auf Seite 207 berichten das
Pressereferat und der Verlag des
ÖGB mit überaus interessanten
Zahlen. Diese Zahlen sind ein Be¬
weis dafür, welchen Wert der Ge¬
werkschaftsbund darauf legt, mit
den Mitgliedern in ständigem Kon¬
takt zu bleiben.
Die Gewerkschaftspresse hatte
1953 eine Gesamtauflage von
44 Millionen Exemplaren. Wichtiges
gewerkschaftliches Gedankengut
wird mit jeder Zeitung bis in die ent¬
legensten Arbeitsstätten getragen.
Der Verlag wieder gibt Gesetzes¬
broschüren und anerkannte Fach¬
literatur heraus und stellt damit dem
Arbeiter und dem Angestellten das
notwendige Rüstzeug für Beruf und
Recht zur Verfügung.
Der sozialpolitische Bericht um¬
faßt 42 und der Wirtschaftsbericht
sogar 62 Seiten. Ungeschminkt und
klar werden darin alle Probleme
geschildert, die unseren Staat und
die Arbeitnehmer betreffen. In die¬
sem Zusammenhang nur das eine:
288 Kollektivverträge wurden 1953
abgeschlossen, und jeder einzelne
brachte den Arbeitern oder An¬
gestellten lohn- und arbeitsrecht-
iiche Verbesserungen.
Rundfunk, Werbung, Mitglieder¬
bewegung — wie sollen wir in die¬
sem kurzen Artikel die Jahresarbeit
der neun Referate des ÖGB richtig
würdigen oder von der umfang¬
reichen Arbeit der Landesexekuti¬
ven des ÖGB und der 16 Gewerk¬
schaften berichten? Der Tätigkeits¬
bericht versucht es auf 631 Seiten.
Er muß sich dabei auf nüchterne
Feststellungen und Zahlen be¬
schränken; bescheiden übergeht er
die menschliche Leistung und Initia¬
tive, von denen jeder gewerkschaft¬
liche Erfolg abhängt. Auf diese
menschliche Leistung und Initiative
aber, die hinter der gewerkschaft¬
lichen Arbeit eines Jahres stehen,
sind sie doch die Seele und Kraft
unserer großen Organisation, wol¬
len wir mit diesen Zeilen hinweisen.
(Fortsetzung von Seite 1)
Und du?
den anderen unserer Mitglieder in
den Dienst der Werbeaktion stellst,
können viele neue Anhänger unserer
Bewegung gewonnen werden.
Der Appell zur Mithilfe an der
Werbeaktion erfolgt auch in dei¬
nem Interesse. Ob es dir nun an¬
genehm ist oder nicht, dein Los ist
untrennbar mit dem aller Arbeiter
und Angestellten verbunden.
Wenn du willst, daß es dir besser
gehe, mußt du dein Teil dazu beitra¬
gen, daß wir noch stärker und ein¬
flußreicher werden!
Hände weg von der Arbeitslosenversicherung!
Wer erinnert sich nicht an die ersten Monate dieses Jahres, in denen die
Arbeitslosigkeit den Stand von 300.000 überstieg? Der Österreichische Gewerk-
schaflsbund hatte unermüdlich schon Jahre vorher auf die immer schlechter
werdende Entwicklung des Arbeitsmarktes hingewiesen und Wege zur Be¬
kämpfung gezeigt. Aber so gut wie nichts wurde von den verantwortlichen
Stellen der Wirtschaft zur Änderung dieser Entwicklung unternommen, bis
es schließlich zur Katastrophenarbeitslosigkeit im vergangenen Winter kom¬
men mußte. Zuerst wollten die verantwortlichen Kreise, deren Wirtschafts¬
konzept durch die monatlich ansteigenden Arbeitslosenziffern systematisch
widerlegt wurde, diese nicht wahrhaben und totschweigen, bis sie schließlich
die Tatsachen zur Stellungnahme zwangen. Man redete sich auf Saison¬
arbeitslosigkeit und falsche Statistiken aus. Die „Solidarität" wies damals
bereits nach, daß die Symptome einer strukturellen Arbeitslosigkeit immer
stärker wurden.
Die im Laufe des Sommers einge¬
tretene Wirtschattskonjunklur, die
vor allem der von den Gewerkschaf¬
ten immer wieder geforderten Ver¬
stärkung und Förderung der Bautätig¬
keit zu verdanken ist, ließ das Thema
„Arbeitslosigkeit" vorläufig wieder in
den Hintergrund treten.
Rechenkunststücke
Vor kurzem erschienen nun in
mehreren Zeitungen und Zeitschrif¬
ten Besprechungen über eine von
der „Sozialwissenschaftlichen Ar¬
beitsgemeinschaft" stammende Ana¬
lyse der Arbeitslosigkeit im Jän¬
ner 1954“. Diese versucht, durch die
Entdeckung einer unechten Arbeits¬
losigkeit den Katastrophenstand von
300.(100 Arbeitslosen „auf einen nahezu
der Vollbeschäftigung entsprechenden
Stand von 100.00Ö Arbeitslosen"
herunterzuanalysieren. Die Berech¬
nungen sind sehr einfach. Von den
300.000 Arbeitslosen waren 47.198 be¬
schränkt vermittlungsfähig, 13.000 for¬
mell vorgemerkt (nur zur Erhaltung
von sozial versichern ngsrechtlichen
Ansprüchen), 10.000 fingierte Arbeits¬
lose, 20.000 arbeitsmarktfremde Frauen
und 113.000 Saisonarbeiter. Somit wird
also rund 200.000 im Jänner 1954 bei
den Arbeitsämtern als arbeitslos ge¬
meldeten Personen das ohnehin bittere
Los abgesprochen, als Arbeitslose zu
gelten.
Was bezweckt nun diese im Okto¬
ber erschienene Analyse der Jänner-
Arbeitslosigkeit? Die Antwort ist ein¬
fach: Nicht die Planlosigkeit der
Wirtschaft ist schuld an der Arbeits¬
losigkeit, sondern — das Arbeits-
losenvei Sicherungsgesetz.
Seltsame Vorschläge
Auch ein geeignetes Heilmittel für
die „Sanierung der Arbeitslosenver¬
sicherung" ist gleich bei der Hand.
Im wesentlichen würde man folgende
Maßnahmen voraussetzen:
1. Als Unterlage für die Konzipierung
des neuen Gesetzes soll der Text
des Arbeitslosenversidierungsge-
setzes von 1920 in der letzten Fas¬
sung dienen.
2. Erhöhte Anwartschaftszeiten und
beschränkte Leistungen für arbeits-
marktfremde Personen.
3. Gefährdung des Lebensunterhaltes
als Voraussetzung für jeden An¬
spruch auf Unterstützung ans den
Mitteln der Arbeitslosenversiche¬
rung.
4. Erhöhung der Unterstützung auf ein
Maß. das Gefährdung des Lebens¬
unterhaltes des Arbeitslosen und
seiner Familie ausschließt.
5. Erhöhung der Beiträge zur Deckung
der erhöhten Unterstützungssätze;
sie kann geringfügig sein, da der
Mehraufwand durch den Ausfall
bisher Berechtigter infolge der
Punkte 2 und 3 reichlich kompen¬
siert wird.
6. Wirksame Bestimmungen zum
Schutze der Arbeitslosenversiche¬
rung vor Ausnützung und Mi߬
brauch.
Diese Vorschläge, auf einen ein¬
fachen Nenner gebracht, heißen: Das
Rad der Geschichte ist um Jahrzehnte
zurückzudrehen: aus der Versicherung
muß wieder eine Fürsorge werden.
Zweifelhafte Beweise
Die Entdeckungen der „Sozialwissen¬
schaftlichen Arbeitsgemeinschaft"
gehen auf eine sehr zweifelhafte Be¬
weisführung zurück. Die Saisonarbeits¬
losigkeit sei unabänderlich naturge¬
wollt, und die Saisonarbeiter müßten
sich zum Ausgleich einen höheren
Saisonarbeiterlohn holen. Die b e-
schränkt Vermittlungsfähi¬
gen sollten eigentlich eine Rente er¬
halten. Dabei wird übersehen, daß es
sich bei dieser Gruppe um die im b i s-
h e r i g e n Beruf beschränkt ver-
mittlungsfähigen Personen handelt,
die in anderen Berufen voll kon¬
kurrenzfähig sein könnten und
eine echte Arbeitskraftreserve bilden.
Die formell Vorgemerkten
seien keine wirklichen Arbeitslosen,
weil sie sich nur zur Wahrung der
Anwartschaft in der Rentenversiche¬
rung anmelden und daher eine Ände¬
rung der Anwartschaftsbestimmungen
diese Arbeitslosigkeit beseitigen
könnte. Schließlich gäbe es noch f i n-
gierte Arbeitslose, die neben
dem ÜntersFützungsbezug „schwarz -
arbeiten. Hier sind auch wir für eine
scharfe Anwendung des Gesetzes, die
Analyse bleibt uns jedoch den Beweis
schuldig, wie sie zur Zahl von 10.000
Arbeitslosen gelangt, denen sie dies
vorzuwerfen hat.
Ein Feldzug
gegen die Aibeüslosenversicherung
Schließlich wird einem V 1 e r 1 e 1
der arbeitslosen Frauen vor¬
geworfen, in Wirklichkeit arbeits¬
marktfremd zu sein und lediglich
kurzfristige Beschäftigungen zur Er¬
langung der Voraussetzungen zum Be¬
zug des Arbeitslosengeldes und der
Notstandshilfe einzugehen. Auch in
dieser einer wirklich eingehenden
Untersuchung würdigen Frage kommt
die „Analyse" zu. unbewiesenen und
gänzlich aus der Luft gegriffenen Be¬
hauptungen.
Obwohl sich der Beifall der Un¬
ternehmer zu dieser „Analyse", aus
Freude, endlich den Schuldigen an
der Arbeitslosigkeit gefunden zu
haben, systematisch über den
gesamten Unternehmerblätterwald
Österreichs verbreitete, hätte man die
ganze Sache nicht ernst zu nehmen
brauchen. Ein anderes Gesicht bekam
die Angelegenheit allerdings, als
-— zwar noch nicht so konkret, aber
immerhin deutlich genug -— der
Finanzminister in seiner Budget¬
debatte am 27. Oktober 1954 in das¬
selbe Horn zu stoßen begann. Nun
darf sich niemand mehr darüber hin¬
wegtäuschen, daß ein wohldurch¬
dachter planmäßiger Feldzug gegen
unsere Arbeitslosenversicherung in
Gang gesetzt wurde.
Da ist nichts zu holen!
Zugegeben, so wie bei allen größe¬
ren Einrichtungen, gibt es auch bei
der Arbeitslosenversicherung Unzu¬
kömmlichkeiten und Mißbräuche.
Zwei Drittel aller Arbeitslosen aber
direkt oder indirekt eines solchen
Mißbrauches zu bezichtigen, wotür
sie mit dem Entzug der Arbeitslosen¬
unterstützung bestraft werden sollen,
muß schärfstens zurückgewiesen wer¬
den. Der Gewerkschaltsbund wird die
in Jahrzehnten aufgebaute Arbeits¬
losenversicherung nicht zerschlagen
lassen. Wer es mit der Bekämpfung
der Arbeitslosigkeit ernst meint, sollte
seine Energien nicht auf entstellende
„Analysen" verwenden, sondern für
die Herbeiführung der notwendigen
Korrekturen in der Wirtschaft sorgen.
upe
Gerne zur Kenntnis genommen
Anscheinend als Antwort auf un¬
seren Leitartikel in der letzten Num¬
mer der „Solidarität" (Nr. 228), in dem
wir uns dagegen wandten, daß die
derzeitigen Lohnbewegungen als Vor¬
griff auf erst zu erzielende Produk-
tivitälssteigerungen betrachtet wer¬
den, schreibt der Artikeldienst der
Bundeskammer der gewerblichen
Wirtschaft, daß nach dem offiziellen
Lohnindex im September die Netto¬
löhne der Arbeiter um 7,9 Prozent
höher waren als im gleichen Monat
des Jahres 1953. Bei den Preisen hat
keinesfalls eine solche Aufwärtsent¬
wicklung stattgefunden, daß die Lohn¬
steigerungen dadurch wieder illu¬
sorisch wurden. Der Index der
Lebenshaltungskosten im September
1954 lag um 2,4 Prozent über dem
Stand des Vorjahres. Die Bundeskam¬
mer will damit feststellen — wie sie
schreibt —. daß „die Erträgnisse der
großartigen Leistungssteigerung der
österreichischen Wirtschaft allen zu¬
gute kommen".
Es läßt sich nun darüber streiten,
ob die Früchte der Wirtschaftskon¬
junktur bisher in angemessenem Aus¬
maß den Arbeitern und Angestellten
zugute gekommen sind. Immerhin ver¬
merken wir aber mit Genugtuung, daß
mit keiner Silbe bestritten wird, daß
die Produktivitätssteigerung allen zu¬
gute zu kommen hat, und auch mit
keinem Worte davon die Rede ist. daß
es sich bei den bisherigen Lohn¬
bewegungen um Vorgriffe auf erst zu
erfolgende Leistungssteigerungen ge¬
handelt hat.
Was auch wir mit unserem Leit¬
artikel gesagt haben wollten.
Falsche Bezeichnung
Mit selbstgefälligem Schmunzeln be¬
richtete die von den Unternehmern
herausgegebene „Neue Wiener Tages¬
zeitung" am 7. November von drei
„Diebes-Gewerkschaften", die es an¬
geblich in Mailand geben soll. Eine
Gewerkschaft bestehe für Diebe von
Gepäck und Kleidungsstücken, eine
für Diebe von Werkzeugen und Auto-
ersalzteilen und eine schließlich lür
Autodiebe. Jeder Außenstehende sei
von Diebszügen praktisch ausge¬
schlossen.
Mag sein, daß es so etwas wirklich
gibt, doch iragt sich, wieso man dabei
ausgerechnet auf die Bezeichnung
„Gewerkschaft" kommt. Bei Dieben
kann es sich ja sozusagen nur um
„selbständig Erwerbstätige" handeln,
deshalb wäre es doch besser, hier
von einem — Kartell zu reden ...
Eiuentümer. Herausrjebor und Verlefler: öster¬
reichischer Gewerkschaltsbund Redaktion:
Fritz Kienner und Franz Nekuia. Verantwort¬
licher Redakleur: Karl Franta. Für die Bild-
beilaqe verantwortlich: Fritz Konii Gestaltung
der Bildbeilage: August Makart Alle Wien.
Hohenstaufengasse 10—12 Verwaltung und
Expedition: Wien, 111 Rennweg 1 Druck:
Waldbeiro-Eberle, Wien, VIF, Seidengasse S—11.
Seite 2 Nr. 229 SOLIDARITÄT