Full text: Arbeit & Wirtschaft - 1923 Heft 15 (15)

581 ARBEIT UND WIRTSCHAFT 582 ITTEILUNGEN Entschließungen und Beschlüsse des Zweiten österreichischen Gewerkschaftskongresses 1. Resolution zur wirtschaftlichen Lage. schaftliche Fremdherrschaft folgt der poli¬ Der Zweite Gewerkschaftskongreß stellt fest, daß die tischen auf dem Fuß. Verkümmerung unserer Produktion, die Einschränkung Die Kapitalistenklasse, welche mit dem Schlüssel zum unseres Konsums und damit die Verarmung unseres Volkes Staatsschatz und zur Nationalbank dem fremden Kapital ständig fortschreiten und so erweisen, daß die angebliche auch die Schlüssel der heimischen Volkswirtschaft aus¬ Sanierung nichts als verhängnisvolle Selbsttäuschung der liefert, hat ihr kurzsichtiges Scharfmacherinteresse höher bürgerlichen Öffentlichkeit und versuchte Irreführung der gestellt als das Interesse unseres Volkes und seiner Zukunft. arbeitenden Klassen ist. Es war ihr zunächst darum zu tun, jene neue Ver¬ Die wirtschaftliche Krise hat durch die Sanierungsaktion fassung der Arbeit, welche das Proletariat sich in nur ihre Form geändert und ihre Opfer gewechselt: die der Revolutionszeit erobert und die Republik zum Gesetz Stabilisierung der Währung ist erzielt durch die jähe erhoben hat, mit fremder Hilfe abzuschütteln und jene Dämpfung der Erzeugung und des Verkehrs, durch uner¬ Rechtlosigkeit des Arbeiters im Betrieb, wie hörte Drosselung und Belastung des Verbrauches. Die sie in der Vorkriegszeit bestanden hat, wiederherzu¬ Währungskrise hat einer Produktions- und stellen. Die Kraft und Wachsamkeit der Arbeiterschaft Konsumkrise Platz gemacht, die auf die Dauer für hat diese Pläne bisher verhindert und wird sie auch in Zu¬ unser Volk noch verderblicher ist. Die arbeitenden Klassen kunft zu verhindern wissen. Es ist die Kapitalistenklasse, zahlen die Kosten dieses Versuches durch Kurzarbeit, Ar¬ welche die zu jedem gleichen Opfer bereite beitslosigkeit und Teuerung, durch ein Elend, das dem Elend Selbsthilfe aller verworfen hat und welche zum Teil heute noch die gesetzlichen Rechte der Arbeiter der letzten Kriegsjahre nahekommt. Die vorübergehende Milderung der KrisederStaat s- durch brutale Gewalt, sei es auch um den Preis Wirtschaft ist erkauft durch eine verschärfte Krise eines Bürgerkrieges, zu vernichten strebt. Angesichts solcher Bestrebungen, angesichts der irre¬ der Volkswirtschaft, deren Wirkungen alsbald um so schwerer auf den Staatshaushalt zurückfallen müssen. Der geführten öffentlichen Meinung und angesichts der ver¬ Staat entlastet sich, indem er der Privatwirtschaft heerenden Krise beschließt der Zweite Gewerkschafts¬ unerschwingliche Steuern aufbürdet und viele Zehntausende kongreß : 1. Die Arbeiter, die Angestellten und die öffent¬ auf das Pflaster wirft, zu einer Zeit, wo die Wirtschaft fast stillsteht und neue Arbeitskräfte nicht aufnehmen kann. In lichen Bediensteten werden aufgefordert, an den sozialpoli¬ dem Augenblick, wo es Pflicht des Staates wäre, die Wirt¬ tischen Errungenschaften der Revolution festzuhalten. Sie schaft durch seine Aufträge wieder zu beleben, stellt er sind die erworbenen Rechte der arbeitenden Klasse und alle öffentlichen Arbeiten ein; in dem Augen¬ dieser ebenso heilig wie dem Bürger sein erworbenes blick, wo die Krise die öffentliche Fürsorge zur einfachsten Privatrecht. 2. Der Gewerkschaftskongreß fordert von Gesetzgebung Pflicht der Menschlichkeit macht, proklamiert er den A bbau der Sozialpolitik und der sozialen Für¬ und Regierung eine völlige Änderung der Sanierungsaktion in Zielen und Mitteln. Als oberstes Ziel ist voranzustellen sorge. Diese Maßregeln werden, nachdem man die Entwertung der Wiederaufbau der gesamten Wirtschaft, das ist die der Währung zwei Jahre tatenlos gewähren lassen und die Förderung der Produktion, die Uberwindung der Arbeits¬ kurze Nachkriegskonjunktur versäumt hat, in hastiger losigkeit, die Zurückgewinnung unserer Märkte, die Be¬ Überstürzung und in den Zeiten der Krise durchgeführt. lebung des Konsums. Erst eine erstarkte Volkswirtschaft Das alles, obwohl unser zweitgrößter öffentlicher Ver¬ wird die erhöhten Lasten des Staatshaushalts zu tragen waltungskörper, die Gemeinde Wien, das Beispiel gegeben, vermögen. 3. Diese Ziele sind zu erreichen durch eine völlig wie man in ruhiger zäher Arbeit von viereinhalb Jahren die Verwaltung von überflüssigem Ballast befreit, das finan¬ geänderte staatliche Wirtschaftspolitik. Der Staat hat durch zielle Gleichgewicht Schritt für Schritt und ohne Sprünge die gegenwärtige Regierung vollständig abgedankt zu¬ wiederherstellt und damit die Gemeinde in den Stand setzt, gunsten des banausenhaftesten Manchestertums und führt jetzt, in der Stunde der Not, durch öffentliche Arbeiten gar keine Wirtschaftspolitik. Dementgegen fordern wir eine zielsichere und starke großen Stils der Privatwirtschaft zu Hilfe zu kommen. Die verfehlte Anlage des Sanierungsplanes, die bloß ein¬ Finanzpolitik, welche dem Finanzkapital enge seitigen Klasseninteressen Rechnung trägt, wird verstärkt Schranken setzt, den Kredit durch die staatliche Kontrolle durch zwei Tatsachen: sie liefert erstens die Volkswirt¬ verbilligt und das Kreditwesen durch öffentliche Kredit¬ schaft, die sie gesunden will, dem Einfluß des frem¬ anstalten organisiert. Wir fordern eine völlige Umkehr in der Steuer¬ den Kapitals aus und sie gibt zweitens nicht nur die arbeitenden Klassen, sondern auch die bürgerliche Erwerbs¬ politik, wir fordern die Herabsetzung der Verbrauchs¬ welt hemmungslos dem Finanzkapital preis. Das abgaben und die Erhöhung der direkten Steuern. Wir fordern eine Politik offener Industrie¬ maßlos vermehrte Bankgewerbe zieht Zinssätze aus der eine freiheitliche Völkswirtschaft, die weit über einen im Frieden noch mög¬ förderung im Innern, lichen Durchschnittsprofit hinausgehen. Der Kapitalzins ab¬ Handels- und Zollpolitik, bewußte Export¬ sorbiert und überschreitet zeitweise sogar das Maß denk¬ förderung und insbesondere die Herstellung geregel¬ baren Unternehmergewinnes. Damit die Verzinsung des ter Handelsbeziehungen zu Rußland und dem ausländischen Leihkapitals reichlich und sicher sei, scheint ganzen europäischen Osten. die Regierung nur die eine Sorge zu haben, den Leihzins 4. Der Gewerkschaftskongreß erwartet, daß eine besser überhaupt reichlich und sicher zu gestalten. So hat diese orientierte Regierung die durch den Genfer Pakt voll¬ Sanierungspolitik nicht nur die industrielle Arbeiterschaft, zogenen Tatsachen dadurch zum Besseren wendet, daß sie sondern beinahe unser ganzes Volk der Herrschaft und Aus¬ auf die grundlegende Änderung dieses Paktes beutung des Finanzkapitals unterstellt und die erstaunliche hinwirkt, fremde Kredite vor allem zum Wieder¬ Bereicherung weniger Kapitalmagnaten, aufbau der Volkswirtschaft erlangt und dem deren Namen in aller Mund ist, zum schreienden, auf¬ Lande durch die Milderung und Beseitigung der Kontroll¬ reizenden Gegenbild der allgemeinen Ver¬ rechte die wirtschaftliche Freiheit wieder¬ bringt. armung gemacht. 5. Der Gewerkschaftskongreß ist der Überzeugung, daß Die Sanierung vermöge der Opfergleichheit aller, die Sa¬ nierung aus eigener Kraft, die wirtschaftlich wohl möglich der Wiederaufbau Österreichs nur möglich ist im Rahmen war, ist so ersetzt durch die Sanierung zugunsten eines friedlichen und solidarischen Europas, vor allerg aber des internationalen und heimatlichen Fi¬ in Gemeinschaft mit einem Deutschland, dem der Friede wiedergegeben wird. Er erkennt in der gewaltsamen Be¬ nanzkapitals. Die Folgen treffen das Proletariat auf das schwerste; aber setzung der Rheinlande eine Bedrohung ganz Europas und nicht dieses allein. Der fremde Kommissär in der Gesetz¬ ein Hemmnis unserer eigenen Gesundung. Ein Völkerbund, gebung, der fremde Berater in der Bank sind nur die Vor¬ der Österreich Kredite vermittelt — allerdings um den läufer des fremden Aktionärs in der heimischen Unterneh¬ Preis seiner Selbständigkeit — und der zugleich stumm mung und des fremden Leiters im Betrieb. Die wirt¬ mitansieht, wie Deutschlands Rechte und Freiheiten unter

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