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ARBEIT UND WIRTSCHAFT
der Genossenschaften arbeiten — so zum Beispiel in den
Vereinigten Leder- und Schuhfabriken und in der Siedlungs- und Baustoffanstalt — Uberwiegt der Einfluß der
Genossenschaften. In den Anstalten, die im freien Wett¬
bewerb mit den kapitalistischen Unternehmungen
für den freien Markt arbeiten
— wie vor
allem die österreichischen Werke — überwiegt
der Einfluß der Gewerkschaften und der Betriebs¬
räte. In allen Fällen aber ist die Gemeinwirtschaft das
Mittel gewesen, an die Stelle der .bürokratischen Allein¬
herrschaft über die öffentlichen Betriebe ihre M i t v e rwaltung durch proletarische Organisatio¬
nen, durch Genossenschaften auf der einen, Betriebs¬
räte und Gewerkschaften auf der anderen Seite zu
setzen. (Seite 174 f.)
Die mächtigen Ausstrahlungen dieser „funktionellen
Demokratie", die so sichtbar in dem Umstand in Er¬
scheinung tritt, daß die Staatsgewalt genötigt wird,
in jedem einzelnen Zweig ihrer Wirksamkeit ständig
das Einvernehmen mit der organisierten Gesamtheit
zu pflegen, ob es nun staatliche Betriebe sind, wo die
Regierung den Arbeitern und Angestellten als Unter¬
nehmer gegenübertritt, odeir lebenswichtige Privat¬
industrien, wo die Regierung das Gesamtinteresse zu
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wahren hat, oder ob es sich schließlich um die wirtschafts- und sozialpolitischen Maßnahmen handelt
welche die Regierung durchzuführen gedenkt oder
durchzuführen gezwungen wird, diese ständig wach¬
sende Einflußnahme der Organisationen auf das
Regieren selbst mußte und muß die Gewerk¬
schaften auch weiterhin „politisieren" und anderseits
d'ie Politik unbeschadet ihrer allgemeinen, weiter¬
greifenden Ziele mit dem kü'hlen, nüchternen Wirt¬
schaftsgeist der Gewerkschaften erfüllen. Die Ein¬
heit von politischer Partei und Gewerkschaft wurde
also bei aller Wahrung der beiderseitigen autonomen
^Grundlagen und bei aller Anerkennung des berech¬
tigten Anspruches auf Autonomie gerade durch die
Revolution nur noch fester geschmiedet Daran ändert
auch die gegenwärtig rückläufige Bewegung nichts.
Im Gegenteil, sie verstattet erst recht nicht ein gegen¬
seitiges Voneinander-Separieren des Schicksals der
verschiedenen proletarischen Kraftzentren. Wenn
Otto Bauer mit seinem Buche sonst keinen anderen
Erfolg hätte als bloß die Befestigung dieser einen
Erkenntnis, so wäre auch das schon eine Tat, die
sein Werk reichlich lohnte.
PASSIVER WIDERSTAND
Von Heinrich Meyer (Düsseldorf)
Vorbemerkung der Redak¬ sammlung am 10. Juni, an welcher Vertreter aller Wirt¬
tion: Wir geben nachstehend die Ein¬
schaftskreise und der städtischen Verwaltungen aus dem
Rhein- und Ruhrgebiet teilnahmen, in Gegenwart des
drücke eines westdeutschen Gewerk¬
schafters wieder, der mitten im Ge¬
Reichskanzlers und anderer Minister erklärt, daß die Ge¬
tümmel des Ruhrkonflikts seine schwere
werkschaften von Anfang der Ruhrbesetzung nur das ge¬
tan haben, was sie von ihrem Standpunkt für richtig hielten,
Tagesarbeit für die Interessen der Ar¬
beiter des Ruhrgebiets zu verrichten hat
daß sie es auch jetzt wie vorher ablehnen müßten, An¬
und in begreiflicher Überspannung seiner
ordnungen oder gar Befehle der Regierung anzunehmen.
Nerven manches vielleicht allzu düster
Alle Maßnahmen der Gewerkschaften würden daraufhin ge¬
und einseitig sehen mag. Immerhin ver¬
prüft, ob sie im Interesse der gesamter* Deutschen Republik
schafft seine Darstellung eine unge¬
liegen und vor allen Dingen würde Wert darauf gelegt, daß
fähre Vorstellung von der seelischen
alle Teile der Republik als untrennbarer Bestand beim
Stimmung der Massen, auf deren Rücken
Deutschen Reiche und bei Preußen verbleiben.
letzten Endes die große Auseinander¬
Derselbe Standpunkt wurde auch gegenüber den Be¬
setzung der rivalisierenden Imperia¬
satzungsbehörden eingenommen und diesen gleich zu An¬
lismen ausgetragen wird.
fang mündlich mitgeteilt, daß die deutschen Arbeiter alle
Die Aufgabe des passiven Widerstandes im Rhein- und
Befehle und Anordnungen der Besatzungsbehörde ablehnen,
Ruhrgebiet wird vom französischen Ministerpräsidenten
daß sie vor allem ablehnen, unter französischen Bajonetten
zur Vorbedingung für den Eintritt in gemeinsame Be¬
zu arbeiten. Daraus entstand der passive Widerstand. Der
ratungen zur Beendigung der Ruhraktion und zur Regelung
erste Schritt war die Verlegung des Kohlensyndikats von
der Reparationen gemacht. In der Rechnung Poincares bei
Essen nach Hamburg und damit die Fortschaffung aller
Beginn des Ruhrunternehmens war vergessen worden,
organisatorischen Unterlagen für die Besitzergreifung und
diesen wichtigen Posten für das Gelingen des französisch¬
Ausbeutung der Zechen. Die Eisenbahner lehnten ab, unter
belgischen Planes einzustellen. Die Wirkungen des pas¬
Aufsicht und Kontrolle bewaffneter Soldaten ihren Dienst
siven Widerstandes müssen für Frankreich und Belgien
zu verrichten; Truppen-. Waffen-, Munitions- und Nach¬
sehr unangenehm gewesen sein, wenn solch entscheidender
schubtransporte für die Einbruchsarmee auf der Eisenbahn
Wert auf die Aufgabe des passiven Widerstandes gelegt
sowie auf dem Wasserweg wurden deutscherseits einge¬
wird.
stellt, die Besetzung der Zechen wurde mit Arbeitsein¬
stellung beantwortet, die Verlader von Kohlen, Koks, feuer¬
Der Einmarsch ins Ruhrgebiet war vorher sehr oft ange¬
festen Steinen und anderer von der Besatzungsarmee ver¬
kündigt worden, aber irgend etwas hielt die Machthaber
langter Artikel verweigerten die Arbeit, ebenso führte die
von der Durchführung zurück. Ursache dieses Zögerns und
Forderung der Franzosen auf Lieferung von Lokomotiven,
der Nichtbeteiligung Englands und Italiens kann wohl nur
Waggons, Kränen und anderen Maschinen zur Stillegung
das Bewußtsein gewesen sein, daß der Einmarsch ein
großer Betriebe. Die Ausfuhr von Kohlen und allen metall¬
Rechtsbruch und mit keiner Bestimmung des Verurgischen Gegenständen aus dem besetzten Gebiet wurde
sailler Vertrages in Einklang zu bringen ist. Am Rhein, an
nur mit französisch-belgischer Ausfuhrcrlaubnis und Be¬
der Ruhr und im ganzen übrigen Deutschland wurde der
zahlung einer Ausfuhrabgabe an französisch-belgische
Schritt so aufgefaßt, und nach der ersten Bestürzung ent¬
Kassen gestattet. Damit wurde die Ausfuhr erdrosselt, denn
stand in der Bevölkerung der Wille zum Widerstand. Alles
die Ausfuhrgenehmigung wurde nicht eingeholt und die Be¬
andere, was von französisch-belgischer Seite über den
zahlung der Abgabe verweigert. Die von den Hotels und
Widerstand gesagt und geschrieben wird, daß der WiderWeinrestaurants verlangte Bezahlung der Weinsteuer
" stand von der Reichsregierung angeordnet und empfohlen
wurde abgewiesen. Die Folge war Beschlagnahme von
worden sei, ist unrichtig. Die Gewerkschaften und
Weinen. Zur Ausstattung von Quartieren nidit nur für
wahrscheinlich auch alle anderen wirtschaftlichen Organi¬
Militär, sondern auch für französische und belgische Eisen¬
sationen haben sich pflichtgemäß vor dem Einmarsch mit
bahner und andere Zivilisten mit ihren Familien wurden
etwa zu ergreifenden Gegenmaßnahmen beschäftigt, sie
Möbel und Einrichtungsgegenstände aller Art verlangt. Die
waren sich vorher klar darüber, daß alle geeignet er¬
Verweigerung hatte Ausweisungen aus Wohnungen und aus
scheinenden Mittel der Abwehr angewandt werden müßten.
dem besetzten Gebiet unter Zurücklassung aller Möbel, ein¬
Dazu bedurfte es keiner Anregung der Reichsregierung,
dazu verpflichteten ja schon die Beschlüsse der inter¬ schließlich aller Haushaltungsgegenstände nebst Bett- und
Leibwäsche und deren Benützung durch Franzosen und
nationalen Kongresse über die Abwehr kriegerischer An¬
Belgier zur Folge. Auf den militarisierten Eisenbahngriffe. Von den Gewerkschaften wurde in einer Ver¬